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Es ist mir nicht zum ersten Mal passiert – und es wird mir auch noch öfter passieren. Wenn es passiert, dann immer in diesen öden Neubausiedlungen am Stadtrand, wo man erst vor kurzer Zeit aus einem Acker Bauland gemacht und in so kleine Parzellen aufgeteilt hat, dass die Häuser kaum darauf passen. Und was für Häuser! Alle in einer anderen Farbe, keine davon ist dem Auge wirklich wohlgesonnen. Dunkelblau steht gegenüber von hellgrün und neben rostrot, als ob jeder alle Nachbarn ärgern will. Die Giebel sind über der Haustür etwas herausgezogen, aber nur so breit und so lang, wie unbedingt nötig, um den Regenschirm auszuschütteln und trocken das Haus zu betreten. Damit dieser winzige Vorbau nicht so alleine dasteht, wird er von zwei prächtigen dorischen Betonsäulen gestützt. Ebenso irrwitzig ist der massive Metallgartenzaun, der das zwergenhafte Grundstück noch kleiner aussehen lässt.
Wenn ich also durch diese Gegenden laufe, dann fährt immer ein unscheinbarer Skoda, Opel, Renault oder was auch immer eine Weile im Schritttempo neben mir. Der Rentner darin blickt mich erst an, dann fasst er sich eine Herz, dreht das Fenster auf meiner Seite herunter und fragt: „Darf ich Sie mal was fragen? Was machen Sie eigentlich hier?“ „Ja“, sage ich. „Aber meine Antwort wird Sie ratlos zurücklassen“. Und dann erkläre ich ihm, dass ich es mir in den Kopf gesetzt habe, alle Straßen Berlins zu durchwandern. Dazu gehört leider auch diese verfickte unattraktive Neubausiedlung. Und ich werde mich beeilen, dass ich da schnell mit fertig bin, um wieder in hübschere Gegenden zu kommen. Da antwortet er mir noch, dieser selbsternannte Bürgerschützer, es würde in letzter Zeit viel eingebrochen. Da muss man wachsam sein. „Einen schönen Tag noch“ und dann dreht er weiter ganz langsam seine Runden auf Verbrecherjagd. Und lässt mich ratlos zurück. Was kann ein Einbrecher in diesen Häusern finden? Bei Leuten, die sich hochverschuldet haben, die ihre Kinder in die KITA bringen müssen, damit beide Eltern arbeiten gehen und die Hypotheken und die Kredite für zwei Autos abgezahlt werden können. Die schon morgens die Fensterläden wieder herunterlassen, damit jeder weiß: dort ist niemand. Überdimensionale Flachbildfernseher, Handys, Spielekonsolen? Mir fällt weiter nichts ein.
Staaken ist ein sehr alter Stadtteil von Berlin, der bereits im 13. Jahrhundert Erwähnung findet. Bauern siedelten sich an, es lebten nur wenige Menschen hier. Die unebene gepflasterte Hauptstraße geht an der kleinen Dorfkirche vorbei. Einige der Bauernhäuser sind noch erhalten. Eine Gedenktafel an der Kirchhofsmauer erinnert an die 25jährige Regentschaft des Kaisers Wilhelm II. Sie wurde am 15. Juni 1913 angebracht und endet mit den Worten „Heil unserem Herrscher!“. Sechs Jahre später und nach einem verlorenen Krieg wurde der Herrscher mit Schimpf und Schande des Landes verwiesen. Die Tafel hat das überlebt. Wie auch das kleine Ehrenmal, welches nach dem Zweiten Weltkrieg zum Gedenken an die Befreiung durch die ruhmreiche Sowjetarmee errichtet wurde. Vielleicht wäre es an der Zeit, es in eine Gedenkstätte zu verwandeln für die Russen, die der Wiedervereinigung Deutschlands zugestimmt haben. Mal was für den Frieden, und nicht immer nur für den Krieg.
Die Bürger von Staaken sollten diesen Russen besonders dankbar sein. Denn ihr Ortsteil war der einzige, durch den eine Grenze ging. Die britischen Besatzungsmächte brauchten nach dem 2. Weltkrieg dringend eine Zufahrt zu ihrem Flugplatz in Gatow. Dafür tauschten sie einen Teil von Staaken ein und scherten sich wenig um das Los der für lange Zeit getrennten Familien. Zwischen 1951 und 1990 verlief mitten durch Staaken die deutsch-deutsche Grenze ohne Durchlass. Denn anders als im übrigen Berlin wurde der DDR-Teil von Staaken dem Bezirk Potsdam zugeschlagen und damit für die Familienangehörigen praktisch nur noch für Hochzeiten und Trauerfälle zugänglich..
Staaken blieb im Kern über Jahrhunderte nahezu unverändert. Bis zum Jahre 1914 war die Bevölkerungszahl überschaubar. Das änderte sich schlagartig, als man Wohnhäuser für die Arbeiter der neu angesiedelten Industrie brauchte. Es entstand die Gartenstadt Staaken zwischen zwei Bahnlinien. Dem Architekten Paul Schnitthenner gelang eine sehr harmonische Bebauung mit Einfamilen- und Reihenhäusern, die heute unter Denkmalschutz stehen. Die Einwohnerzahl von Staaken wuchs schlagartig auf fünfundzwanzigtausend.
Die Neu-Staakener arbeiteten überwiegend für die Rüstungsindustrie, sowie für die Luftschifffahrt. Bis Ende des Ersten Weltkriegs wurden insgesamt zwölf Zeppeline gebaut. Mit dem Friedensvertrag von 1918 wurde Deutschland die Produktion von Waffen und Flugzeugen verboten. Die vorhandenen Zeppeline wurden im Liniendienst eingesetzt, nach Friedrichshafen und London. Allerdings war bald der innerstädtische Flughafen Tempelhof attraktiver. Die neuen Routen der Luftschiffe nach Amerika starteten aber zeitweise noch von Staaken. Das bot den bisherigen Arbeitern wenig Chancen. Auf der Werft entstand ab 1923 die neue deutsche Filmindustrie. Die bedeutendsten Filme der damaligen Zeit wurden in Staaken produziert: „Metropolis“ von Fritz Lang, „Der heilige Berg“ von Leni Riefenstahl, sowie „Mata Hari“ oder „Der Schimmelreiter“. Aber die Zeit der Filmstudios währte auch nur zehn Jahre. Zu Beginn des Nationalsozialismus wurden die Spielfilme in den modernen Studios in Babelsberg hergestellt. Stattdessen begann man in Staaken wieder mit der Rüstungsindustrie, Dieses Mal mit dem Bau von Panzern. Als die Arbeiter in den nächsten Krieg zogen, wurde mit wurde mit über 2500 Zwangsarbeitern weiter gebaut. Die waren in einer Außenstelle des KZ Sachsenhausen in Falkensee in vierzehn Holzbaracken untergebracht. Am 26. April befreite die Rote Armee die Überlebenden.
In Staaken gibt es gleich zwei sehenswerte und denkmalgeschützte Wohnanlagen. Die zweite liegt am Ende der Heerstraße in einem Waldgebiet und heißt Neu-Jerusalem. Ursprünglich zogen in die für die damalige Zeit (1925) avantgardistisch gestalteten Gebäude die Angehörigen der Fliegerakademie ein. Die Anlage besteht aus 21 identischen kubischen Doppelhäusern und einem Einzelhaus, in welches der Architekt Erwin Gutkind selbst einzog. Die Siedlung hat die Wirren des Krieges und die DDR-Zeit nicht schadlos überstanden. Die Häuser verfielen mehr und mehr. Sie wurden entgegen eines Beschlusses der Denkmalschutzbehörde an verschiedene Eigentümer verkauft. Damit wurde das Gesamtbild der Anlage zerstört. Inzwischen versucht man, wenigstens das Haus des Architekten zu schützen und sein ursprüngliches Aussehen wieder herzustellen.
Über die Bauten nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Mauerfall kann man schweigen. Haaken hatte einfach noch viele Freiflächen, auf denen man schnell und preiswert den benötigten Wohnraum erstellen konnte. Immerhin wuchs der Ortsteil damit auf fünfundvierzigtausend Einwohner.
Eine kleine Besonderheit und ein lohnendes Sommer-Ausflugsziel ist das Fort-Hahneberg, welches man von der Heerstraße in einem bequemen Fußmarsch durch Felder und Wiesen erreicht. Gebaut wurde es, um die Rüstungsindustrie in Staaken zu schützen. Es handelt sich um eine sechseckige Wehranlage, die in die Erde gebaut wurde, um sie von außen unsichtbar zu machen. Leider ist das auch heute der Fall, denn nach Ende des letzten Krieges benötigte man die Ziegelsteine für den Wiederaufbau Berlins. Bis zur Wende befand sich das Gebäude im Sperrgebiet der DDR und war nicht zugänglich. Heute bemüht sich eine Schutzgemeinschaft um den Erhalt der restlichen Anlage. Quentin Tarrantino hat immerhin einen Teil seines Films „Inglourious Bastards“ auf dem Gelände des Forts gedreht.
Meine Tipps:
Mit der Regionalbahn nach Staaken fahren. Auf der Brücke geht man auf der einen Seite nach Alt-Staaken. Dort einmal die Hauptstraße entlanggehen, die Dorfkirche und die alten Häuser anschauen und „Zum Österreicher im Schaukelpferd“ einkehren. Besonders der Brunch am Sonntag ist empfehlenswert.
Geht man in die entgegengesetzte Richtung auf der Brücke, kommt man zur Gartenstadt Staaken und zu der gleichnamigen Wohnanlage.
Wenn man das Fort Hahneberg besuchen möchte, kann man vom Bahnhof Spandau die Buslinien M37 oder 137 nehmen und in Hahneberg aussteigen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist ein Hinweisschild zum Fort. In zehn Minuten ist man am Ziel. Unbedingt vorher über die Öffnungszeiten informieren.
Den Besuch kann man mit einer Wanderung zur Siedlung Neu-Jerusalem verbinden. Dazu geht man auf der Heerstraße etwa zehn Minuten weiter. Aber Vorsicht! Wenn Ihr jetzt noch ein paar Schritte in Richtung Brandenburg lauft, kommt Ihr unweigerlich in eines dieser Neubaugebiete, wo Euch schon ein Hilfssheriff erwartet.
Staaken – concerned
It did not happen to me for the first time – and it will happen again –definetely. So why not in Staaken. It always happens in these new construction areas, where in no time farmland has been declared to a residential area and the plots are almost too small for the houses buildt on them. What ugly houses! Every single one comes in a different colour, ranging from dark blue to light green and rusty red, as if every single house owner wants to frighten the neighbours. If bad taste could be subject of punishment, all of them would reside in prison for lifetime. The roofs cover the entrance only a little bit, just allowing to shake the umbrella, before you enter the house. To make the entrance more impressive, this little piece is supported by two massive doric columns. Even more crazy ist he high metallic fence, which make the ground even smaller looking as it is anyway.
When I walk along these areas, I am always follwed by a a Skoda, Opel, Renault or whatever brand of car at a walking speed. The retired person inside the car first watches me carefully , then opens the side window. „May I ask you a question? What the hell are you doing here?“ My answer is always the same: „Yes. But my feedback will not satisfy you. I walk all streets of Berlin and today I am here.“ But what I think is: „I hope, it will not take too long to finish this f***ing ugly settlement and I can continue at a much nicer place.“ The reply oft he self-appointed citizen protector: „We have a lot of burglary here lately. We have to take care by ourselves. Have a nice day and good-bye“. He continues his ride, looking for another chance of manhunting and leaves me helplessly back. Which valuables can a housebreaker find here? At an area, where both parents have to work to finance the mortgage and two cars? People, who close the shutters all day long, when they leave the house. Large flat sreens, cellurar phones, game consoles? I don´t know.
Staaken is one oft he oldest parts of Berlin, already mentioned in the early 13th century. It used to be a settlement for farmers. Only a few people lived here. The uneven paving stones on the mainstreet at downtown Staaken remind you oft the old days. As well as the village church and a few remaining farm houses. A memory plate at the church wall reminds of the 25th aniversary of regency of emperor Wilhelm II. It was placed on June 15th, 1913 and ends with the words „God save the Emporer“. Only six years later the emporer was chased out oft he country after loosing the first worldwar. But the memory plate still remains. As well as the little memorial for the glorious russian army and the exempt from the nazi regime. In my opinion it is overdue to memorize the russians, who made the German unification possible. Something for peace ant not for war!
The citizen of Staaken should be very thankful to these Russians. Staaken became the only suburb of Berlin with a borderline between East- and Westgermany. The British allied forces could not reach their airport in Gatow and made a deal with the Russians. They gave away half of Staaken for a driveway to the airport and did not care about the fate of hundreds of splitted families. Between 1951 and 1990 families of both parts of Staaken were only able to meet for weddings, funerals and other important celebrations.
Staaken kept its rural character unchanged until 1914, when space was needed for the workers of the near-by industry, mainly aviation and defense. The architect Paul Schnitthenner erected houses for nearly 25 thousand employees. The whole ensemble is now under monument protection and is very well maintained.
At the airplane throw a total of twelve Zeppelins were buildt, only for military purposes. After Worldwar I Germany was either allowed to build Zeppelins nor weapons. Many of the former employees could not find a new job. The Zeppelins were used commercially for routes from Staaken to Friedrichshafen and London. They transported a maximum of 20 passengers in style and comfort and brought them to their destinations within six hours. Later also a route to New York was offered.
The new German movie industry took over the aviation halls and produced well-known silent movies like „Metropolis“ , „The Holy Mountain“ or „Mata Hari“ with directors Fritz Lang and Leni Riefenstahl. After ten years the studios moved to Babelsberg, the halls were needed for the construction of weapons and tanks. Hitler wanted to be prepared for the next war. Later, when all the workers became soldiers in Worldwar II, forced workers from the near-by concentration camp Sachsenhausen continued to work, until the Red Army released them at April 26, 1945.
Staaken has two urbanizations under monument protection. The second one is on Heerstraße in a forest. The Name is „New-Jerusalem“, a collection of 21 identical cubic two-family houses and one single house for the architect Erwin Gutkind himself. Most of the houses are in a bad shape. But the goverment starts to restore at least Gutkind´s house.
There is not much to say about houses buildt after Worldwar II and the unification. Staaken had a lot of free space at that time to construct houses fast and cheap. The population grow to 45 thousand.
A good place for an excursion is Fort-Hahneberg, just a fifteen minutes walk from Heerstraße through fields and meadows. The fort should protect the near-by defense Industry and was buildt into the ground to make it invisible. Unfortunately this is still the case, because after Worldwar II the bricks were needed for housing in Berlin. But still some parts remain and with your own impression you can imagine, how the fort looked like in the past. Director Quentin Tarrantino used the scenary for his movie „Unglorious Bastards“.
My recommendations for Staaken:
Take the Regional Train from Mainstation Berlin to Staaken. On the railway bridge you have two choices. If you go into one direction, you will end up in Alt-Staaken with the church, old buildings and streets. Visit the „Zum Österreicher im Schaukelpferd“ -Restaurant and enjoy the brunch on sundays or any other food during the week.
If you choose the opposite direction, you will end up in Gartenstadt Staaken to visit Paul Schnitthenner´s ensemble of houses for almost 20 thousand people.
Visit Fort- Hahneberg in summer and take Bus M37 or 137 from railway station Spandau and exit at Hahneberg. You can find a sign to the fort opposite of the busstop. Inform yourself about opening hours before you start. New-Jerusalem is only ten minutes away from the busstop, if you continue to walk on Heerstraße. But do not go too far. Otherwise you may end up in one of these new constructions areas, where the sheriffs are already waiting for you.
Lieber Siegfried, auch diese Geschichte ist Dir wieder gut gelungen! Das lesen macht Spaß.
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Danke Herma, dann werde ich mir weiter Mühe geben
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Ein so schoener Artikel. Aber warum diese russische Propaganda? Sie zerstoert die gesamte Geschichte. Russland ist heutzutage mit die groesste Bedrohung fuer Europa – ihnen ein Denkmal zu bauen, waere ein ziemlich trauriges Zeugnis.
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Lieber APF, zunächst einmal vielen Dank für Dein Lob. Es freut mich auch, dass Du Dir die Zeit genommen hast, die Geschichte kritisch zu würdigen. Vielleicht klingt der Ausdruck „siegreiche Sowjetunion“ etwas propagandistisch und ich hätte ihn in Anführungszeichen setzen können, da er genauso in der DDR verwendet wurde. Aber an der Tatsache, dass die SU den Krieg gewonnen hat, kann man wohl kaum zweifeln.
Wenn ich an anderer Stelle sage, dass ausnahmsweise einmal etwas für den Frieden gemacht wurde, so kann man an der Formulierung erkennen, dass dies wirklich eine absolute Ausnahme war und deswegen gewürdigt wurde..
Wenn Dir mein Artikel gefallen hat, so empfehle ich Dir auch die Lektüre meiner anderen Berichte. Da gibt es auch durchaus kritische Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion.
Im Übrigen bemühe ich mich, meine Wahrnehmungen möglichst vorurteilsfrei darzustellen. Wenn das nicht immer klar herauskommt, bitte ich um Nachsicht und hoffe, Du bleibst mir treu..
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