Dies ist die Geschichte des einzigen Vergnügungsparks der DDR und wie dabei Politiker und Kriminelle Hand in Hand arbeiten. Also der richtige Stoff, aus dem Filme gemacht werden, was auch tatsächlich passiert ist. Unter dem Titel „Achterbahn“ kam ein Film in die deutschen Kinos, der aber nur kurzfristig auf die Geschichte aufmerksam machte. Damit sie nicht komplett der Vergessenheit anheim fällt, erzähle ich sie noch einmal.
Nach der Wiedervereinigung besaß der Berliner Senat plötzlich den Kulturpark im Plänterwald, einen Rummelplatz, der zu Spitzenzeiten jährlich über 1,8 Millionen Zuschauer der DDR anlockte. Der Senat, selber Weltmeister im Veranstalten von Rummel, wollte diesen Betrieb nicht selbst weiter führen, sondern stilllegen, bis plötzlich sieben Bewerber auf den Plan traten, die den Park übernehmen wollten. Schnell wurde unter ihnen der richtige Kandidat ausgesucht: Norbert Witte. Der hatte sich erst vor kurzem in Berlin angesiedelt und war dort gleich der CDU beigetreten. Im Senat trat er als sachkundiger und energischer Mann auf, der aufgrund seiner guten Beziehungen schnell das nötige Geld besorgen könne, um den Park weiter zu betreiben Den Zuschlag erhielt ohne große weitere Prüfungen die Firma Spreepark-GmbH, die seiner Frau gehörte. Er selber hatte bereits im Jahre 1982 einen Offenbarungseid geleistet, von dem er sich bislang nicht erholt hatte. Offensichtlich hatten sich die näheren Umstände nicht bis Berlin herumgesprochen. Witte hatte nämlich in Hamburg den größten Unfall der Rummelplatzgeschichte grob fahrlässig herbeigeführt, als er mit einem weder zugelassenen, noch versicherten Baukran während des Betriebes sein Fahrgeschäft abbaute und dabei sieben Menschen in den Tod riss. Die Geschädigten haben nach dem Prozess nie Geld von ihm erhalten. Er selbst konnte in Deutschland nach den Schlagzeilen nicht mehr Fuß fassen und wich mit seinen Fahrgeschäften nach Italien und Jugoslawien aus. Mit wenig Erfolg.
Jetzt sah Witte die Chance, seine Fahrgeschäfte wieder aufzubauen und trat gegenüber dem Senat als der Macher aus dem Westen auf, der aufgrund seiner Erfahrungen und Verbindungen das Geld für notwendige Investitionen beschaffen konnte. Nach der Unterzeichnung eines Pachtvertrages, der erst 1997 in einen Erbbaurechtsvertrag mit einer Laufzeit von 66 Jahren umgewandelt wurde, gelang es ihm bei der Deutschen Bank, einen erheblichen Kredit zu erhalten. Denn im Vertrag wurde ihm erlaubt, das Grundstück mit einer Summe von bis zu 20 Millionen Mark plus Zinsen und Nebenkosten zu beleihen. Zwei Jahre später stockte der Senat seine Bürgschaft noch einmal um 4,2 Millionen Mark auf. Der Verkehrswert des Grundstücks lag aber nur bei acht bis neun Millionen Mark. Danach wurde auch der Erbbauzins berechnet, den die Spreepark-GmbH zu zahlen hatte. Die erwies sich als großzügig bei Spenden an die CDU. Im Jahre 1999 weist die Partei einen Zufluss von 51.000 Mark aus. „Allerdings hat niemals jemand einen Zusammenhang unterstellt, geschweige denn untersucht“. *
Witte brachte seine alten Fahrgeschäfte im Spreepark unter, buddelte, asphaltierte, was das Zeug hielt, damit seine Besucher bequem durch den Park laufen konnten. Allerdings ohne Genehmigung in einem als Naturschutzgebiet ausgewiesenen Areal. Darüber sahen die Behörden großzügig hinweg, Genehmigten alles im Nachhinein. Sie waren mit Witte auf Gedeih und Verderb verbandelt. Denn der hatte längst den großzügigen Kreditrahmen ausgeschöpft, für den der Senat im Falle eines Misserfolges als Grundstückseigentümer haftete. Also musste man alles tun, um diesem Erfolg nicht im Wege zu stehen. Der stellte sich aber nicht ein, und zwar aus folgenden Gründen: zum einen wollten die DDR-Bürger inzwischen lieber zu den spektakulären Vergnügungsparks mit ihren atemberaubenden Achterbahnen und Shows im Westen aufbrechen. Im Spreepark roch es immer noch nach dem betulichen Mief des Sozialismus. Zum anderen legten die benachbarten Anwohner dem Betreiber alle nur erdenklichen Steine in den Weg, um einen Massenansturm von Besuchern zu verhindern. So konnten niemals die notwendigen Parkplätze gebaut werden. Eine Anreise war nur mit öffentlichen Verkehrsmittel möglich. Jede Erweiterung des Parks wurde von den Bewohnern unerbittlich bekämpft.
So kam, was unausweichlich war. Dem Unternehmen stand die unmittelbare Pleite bevor. Noch rechtzeitig ließ Witte sechs Fahrgeschäfte auf Containerschiffe verfrachten und schickte sie nach Peru. Dem Senat erzählte er, dass sie technisch überholt werden müssten und dies nur in Peru geschehen kann. Dann schloss er den Park zu und begab sich mit seiner Familie in einer Nacht- und Nebel Aktion nach Südamerika.
Es dauerte eine Weile, bis die Natur die Herrschaft im Park übernahm, Plünderer die letzten Reste als Souvenirs nach Hause schafften und wieder andere den Park für ihre ausgelassenen Feste nutzten.
Währenddessen versuchte Witte es erneut mit einem Vergnügungspark in Peru. Da er bereits eine Pleite hingelegt hatte und die Firma seiner Frau ebenfalls insolvent war, musste nun der gerade erst geschäftstüchtig gewordenen SohnMarcel die Leitung der neuen Firma übernehmen. Aber auch in Peru wollte sich kein Erfolg mit den in die Jahre gekommenen Jahrmarktattraktionen einstellen. Als der Konkurs sich schon wieder abzeichnete, ereilte Witte die Aufforderung des Senats von Berlin, die Fahrgeschäfte umgehend nach Deutschland zurück zu bringen. Da war guter Rat teuer. Woher sollte das Geld kommen? Aber Witte hatte eine grandiose Idee. Er stopfte den Mast seines „Fliegenden Teppichs“ voll mit 167 Kilogramm Kokain und erhoffte sich einen Gewinn von 700.000 Dollar. Bevor die heiße Fracht Peru verließ, erlitt Witte einen Herzinfarkt, setzte sich in ein Flugzeug nach Deutschland und wollte dort auf die Ankunft der heißen Fracht warten.
Da hatte er allerdings die Rechnung ohne die Spürnasen des Zolls gemacht. Die fanden die geheime Ladung, setzten Witte fest und übergaben ihn der Gerichtsbarkeit. Witte wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt und lebt seit seiner Haftentlassung in Berlin.
Schlimmer traf es seinen Sohn Marcel. Der wurde als Geschäftsführer der Gesellschaft völlig ahnungslos in einem Cafe am frühen Morgen in Peru verhaftet und dort ins Gefängnis gesteckt. Er wurde zu zwanzig Jahren Haft verurteilt und kam an einen Ort, an dem die Polizei jegliche Kontrolle verloren hatte. Die Ordnung wurde von mafiösen Gangstern hergestellt, die die Rangordnung der Häftlinge festlegten. Privilegien konnte man sich eventuell erkaufen. Die Berichte sagen, dass der junge Witte bereits am ersten Tag seine Jeans verteidigen musste, die einem anderen Häftling gut gefielen. Es kam zum Kampf, den beide blutig verließen. Witte ging aber als der erklärte Sieger hervor und konnte sich damit einigen Respekt verschaffen. Da war aber nur der erste von 7300 Tagen vorbei. Viele weitere schlimme Tage sollten folgen. Witte entwickelte sich zum Einzelgänger und bekam durch laufende Zuwendungen seiner Schwester Sabrina eine eigene Zelle. Mit seinem ersten Gegner soll er sich später angefreundet haben, diesem sogar die Geliebte ausgespannt und mit ihr ein Kind gezeugt haben.
Die Jahre vergingen langsam und gefahrvoll. Die Chance auf Begnadigung, eine mildere Strafe oder Überstellung nach Deutschland war aussichtslos. Der herrschende Diktator ging mit aller Macht gegen Drogendealer vor und kannte kein Pardon. Mehrere Versuche von Anwälten scheiterten, obwohl die Unschuld des jungen Witte in diesem Fall auf der Hand lag.
Nahezu dreizehn Jahre später traf der deutsche Bundespräsident auf den neuen Machthaber in Peru und überreichte eine Petition zur Hafterleichterung. Nach längerer Verhandlung wurde beschlossen, den Häftling nach Deutschland abzuschieben, wenn er dort den Rest seiner Strafe absitzt.
Der Spreepark gehört jetzt wieder einer Tochtergesellschaft der Stadt Berlin, die versucht, irgendetwas aus den wenigen Resten zu machen. Dazu wurden schon mehrmals die Anwohner befragt, aber ein Ergebnis zeichnet sich nicht ab. In Berlin zu einem tragfähigen Ergebnis zu kommen, scheitert oft an den gegensätzlichen Interessenlagen mannigfaltiger Gruppen. Vor Plünderern schützen ein Zaun und Wachleute. Einmal im Monat ist das Gelände für nostalgische Zuschauer geöffnet, aber viel gibt es nicht mehr zu sehen. Das Riesenrad dreht sich immer noch ein bisschen, weil man es nicht feststellen darf. Ein starker Windstoß könnte es sonst zum Einsturz bringen. In etwa soll der Vorfall die Stadt Berlin 50 Millionen Euro gekostet haben. Dazu soll ein Sprecher des Senats gesagt haben: „Wen interessieren 50 Millionen in dieser Stadt. Wir haben 47 Milliarden Schulden, und das interessiert auch keinen“.
Die Wittes sind wieder alle in Berlin. Die Mutter soll eine Imbissbude betreiben. Sie bemüht sich bisher erfolglos, dass ihr Sohn früher aus dem Gefängnis entlassen wird. Die Tochter versucht, zischen dem Sohn und dem Vater zu ermitteln. Aber das wird nichts.
Der Vater erhält kein Besuchsrecht bei seinem Sohn. Der wird voraussichtlich 2023 aus dem Gefängnis entlassen. Was er dann danach machen werde, wurde er von einem neugierigen Reporter gefragt. Er soll geantwortet haben: „Als erstes bringe ich meinen Vater um.“
Lieber Siegfried, vorgelesen hat Dein Bericht mir noch besser gefallen. :-)). Ligrü Herma
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Liebe Herma, vielen Dank fuer Deinen Kommentar. Beim Schreiben eines so heiklen Sachverhaltes muss man sich noch mehr auf auf die Recherchen beziehen. Dadurch geht vielleicht ein Teil des Charmes dieser Story verloren.
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Hallo Siegried, vor ein paar Jahren war ich bei der letzten offiziellen Führung im Park, geleitet von der Tochter Sabrina Witte selbst. Interessanterweise wich ihre Berichterstattung gar nicht so weit ab (selbst die Drogen-Story hat sie erzählt). Schade um das Gelände, man hätte durchaus etwas draus machen können, denke ich. VG
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