Waidmannslust – Waidmannsheil

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An dieser Stelle muss einmal darüber gesprochen werden, was Berlin von anderen Hauptstädten in der Welt unterscheidet. Wenn man an Paris, London oder New York denkt, sieht man die Innenstädte, das pulsierende Leben, stellt sich den Broadway vor oder Piccadilly Circus. Aber nicht die Bronx, die Pariser Vorstädte mit ihrem kriminellen Milieu oder die Londoner Arbeiterviertel am Rande der Stadt.

Berlin ist anders. Berlin besteht aus den Stadtteilen innerhalb des S-Bahn-Ringes und denen außerhalb davon. Innerhalb kann man all das finden, was sich in den anderen Metropolen im Kern und an den Randbezirken befindet. Innerhalb – das ist Mitte, aber auch der Wedding oder Kreuzberg und Neukölln. Oder das mondäne Charlottenburg, das revolutionäre Friedrichshain oder das langweilige Hansaviertel. Das alles findet man innerhalb des Ringes, den die S-Bahnlinien S41 und S42 in gut einer Stunde umrunden.

Aber was ist dahinter bis zur Stadtgrenze? Da sind ländliche Idylle, Seen und Wälder, Villenviertel vom Feinsten, Ackerbau und Viehzucht, Wohnsilos mit niedriger Kriminalitätsrate, Ausflugsorte und Sommerfrischen. Oder die größte Ansammlung privater Einfamilienhäuser auf einer Fläche von über dreißig Quadratkilometern. Berlin hat sich im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert eine große Anzahl von Gemeinden einverleibt. Die haben sich weitgehend ihre Identität bewahrt. Jede eine andere.

Damit kommen wir zu Waidmannslust, das im Wettbewerb um die größten Stadtteile weit abgeschlagen auf dem 88. Platz von insgesamt 96 liegt. Es ist so klein, dass es sich seine Postleitzahl noch mit anderen Stadtteilen teilen muss. Es gibt weniger als 40 Straßen. Viele erinnern in ihrem Namen an die Vergangenheit: „. Am Ansitz“, „Dianaplatz“, „Hochjagdstraße“ oder „Hubertusstraße“. Der Förster Ernst Banding kaufte 1875 große Flächen eines Waldgebietes, errichtete eine Gaststätte des Namens Waidmannslust und überzeugte die Berliner davon, an dieser Stelle ihre Sommerfrischen zu errichten. Das war´s. Bis der Zweite Weltkrieg vorüber war und Waidmannslust Teil der französischen Besatzungsmacht wurde. Die Offiziere fanden Gefallen an den Villen und zogen dort ein. Für die Bevölkerung errichtete die Stadt Berlin riesige Wohnsilos auf einer unbebauten Fläche. So wurde das kleine Waidmannslust noch einmal in zwei kleinere Stücke geteilt, durch die S-Bahn gut voneinander getrennt.

Es hat nicht lange gedauert, die Reihenfolge meiner Besuche in Waidmannslust festzulegen. Gerade eben war ich mit Marzahn fertig geworden. Da bot es sich an, zu vergleichen, wie man nach Kriegsende in Ost und West mit der Wohnungsnot fertig wurde. Also begann ich mit den Neubaugebieten. Westberlin beauftragte damals die namhaftesten Architekten, neue Unterkünfte in Waidmannslust zu errichten, unter ihnen Hans Scharoun. Von den heute etwa 11000 Einwohnern leben in diesem Gebiet ziemlich sicher mehr als zwei Drittel dieses Stadtteiles. Die hufeisenförmige Titiseestraße umschließt einen riesigen Wohnblock, in dem alle Einwohner die gleiche Adresse haben. Für Postboten und Paketzusteller ist das eine unermessliche Herausforderung. Alle Eingangstüren befinden sich an der zur Straße abgewandten Seite und sind nur über lange verschlungene Wege zu erreichen. Wer im nahegelegenen Einkaufszentrum seinen Wocheneinkauf getätigt hat, muss lange Wege gehen. Amazon hat bereits angemessen reagiert und auf der gesamten Straße im Abstand von vielleicht fünfzig Metern Paketstationen aufgestellt. Von dort können sich die Anwohner ihre Bestellungen selbst in die Wohnung tragen. Aus Ehrfurcht gegenüber den berühmten Architekten steht die komplette Wohnsiedlung unter Denkmalschutz. Ob das allerdings gerechtfertigt ist, entzieht sich meiner Urteilsfähigkeit. Auch hier ist man dem Prinzip des rechten Winkels über viele Stockwerke treu geblieben. Für mich sieht das ein bisschen so aus, als ob der renommierte Architekt da noch was in seiner Schublade gefunden hat, was er dem Berliner Senat gut verkaufen konnte. Aber urteilt selbst.

In dem Neubaugebiet gibt es aber auch noch ein paar kleine Überraschungen. Dazu gehört der Hermsdorfer See mit seiner romantischen Uferbebauung.

Soweit der erste Teil meines Besuches. Aber es fehlt noch der andere Teil von Waidmannslust. Der Teil mit den Villen.

Das stellt sich bei näherer Betrachtung als nicht ganz so spektakulär heraus. Es gibt eine Ansammlung von Häusern, die um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden sein müssen. Einige davon haben sich dem Namen angepasst und kommen im Försterlook daher. Eigentlich gibt es nur ein größeres Anwesen, in den wahrscheinlich der französische Kommandant nach dem letzten Krieg residiert haben könnte. Die Amerikaner hatten mit ihrem Sitz in Dahlem die weitaus bessere Auswahl.

Sehenswert ist auf alle Fälle die hübsche Kirche im neugotischen Stil. Die rief gerade die Gläubigen zum Sonntags-Gottesdienst, als ich vorbeikam. Es waren nicht mehr viele, die ihrem Ruf folgten. Kurz vor Beginn der Messe kam der Pfarrer noch einmal kurz heraus, um sich zu überzeugen, dass bereits wirklich alle erschienen waren.

Leider war es das auch schon. Aber vielmehr kann man auch nicht über vierzig Straßen schreiben.

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