Lothar Berfelde

Er wurde als Lothar Berfelde am 18. März 1928 geboren und starb am 30. April 2003 als Charlotte von Mahlsdorf. Dazwischen lag ein ereignisreiches und schwieriges Leben. Er hat es selbst in seiner Autobiografie „Ich bin meine eigene Frau“ beschrieben. Also warum noch einmal etwas erzählen, was schon erzählt wurde? Zum einen gehört Lothar Berfelde wie kein anderer in meine Sammlung „Menschen in Berlin“ mit seinem gebrochenen Lebenslauf. Zum anderen ist sein Leben nicht ganz so abgelaufen, wie er es beschrieben hat. Und zum dritten ist nirgends sein Leben bis zum Ende erzählt worden. Ein Filmemacher und ein Theaterregisseur haben seine Lebensgeschichte als Vorbild für ihre Werke genommen. Beide nahmen seinen Buchtitel als Vorlage für ihre Werke. Der Film von Rosa von Praunheim hat nicht viele Menschen erreicht und blieb eine Ikone in der schwulen Community. Das gleichnamige Theaterstück gefiel sowohl Kritikern als auch dem Publikum in New York außerordentlich. Beide fußen auf der Autobiografie und zeigen die Kunstfigur „Charlotte von Mahlsdorf“, aber nicht den Menschen LotharBerfelde.

Als Lothar Berfelde begann, in der Öffentlichkeit zu stehen, erzählte er immer wieder die gleichen Geschichten aus seinem Leben. Je öfter sie erzählte, desto mehr war er von ihrer Wahrhaftigkeit überzeugt. Biografien von Künstlern haben oft die Besonderheit, dass der Autor ihre Wirklichkeit so beschreibt, wie er sie gern sähe. Das ist seine Wahrheit. Die Wahrheit oder Wahrnehmung anderer mag anders sein. Die nachweisbaren Fakten mögen eine andere Geschichte erzählen, aber Geschichte, Geschichten und Personen sind in einer mystischen Weise miteinander verwoben. Vielleicht erkennen wir aus den Erzählungen die Wahrheit über Charlotte von Marzahn oder wir sehen in der kritischen Betrachtung seiner Äußerungen die wirkliche Identität des Lothar Berfelde? Es wird ein schwieriges Unterfangen, eine Person zu beschreiben, die eigentlich zwei Personen ist. Gehen wir es an.

Mit seiner Geburt, der damaligen Zeit und den Eltern hatte Lothar Berfelde nicht das große Los gezogen. Es war das Jahr 1928, als er das Licht der Welt in Mahlsdorf erblickte. Das war zur damaligen Zeit ein Vorort Berlins. Die Zeiten waren schwierig, die erste Weltwirtschaftskrise begann. Kommunisten und Nazis waren auf den Straßen unterwegs. Sein Vater war eingefleischter Nazi, der bereits vor 1933 in die NSDAP eintrat. Nach der Machtergreifung wurde er dafür mit kleineren Posten belohnt. Belegt ist, dass er bei Gericht eine Art Schöffenposition bekleidete. Seine Mutter entstammte einer wohlhabenden Familie. Da sie sich ziemlich lange Zeit für die Heirat ließ, nahm ihr Bruder die Suche nach einem Mann für sie in die Hand. Seine Wahl fiel für die Schwester nicht sonderlich günstig aus. Denn Max Berfelde, der Mann, den sie auf Anraten ihres Bruders ehelichte, erwies sich sich als brutaler Schläger und unsensibler Mensch. Schläge gegen Frau und Kind waren an der Tagesordnung. Wenn der kleine Lothar weinte, bekam er eine extra Portion Schläge. Denn Männer weinen nicht.

Lothar entdeckte schon als kleiner Junge seine Vorliebe für Möbel aus der Gründerzeit. Überall dort, wo Nachbarn ihre alten Stücke auf die Straße stellten, stöberte er nach Schränken, Standuhren, Grammophonen und Tonträgern. Die Menschen waren der alten, schweren Gegenstände überdrüssig und ersetzten sie durch praktischere. Immer, wenn Lothar fündig wurde, musste er erst seine Mutter um Erlaubnis fragen. Die gewährte ihm aber fast jeden Wunsch. Als er heranwuchs, arbeitete er nach der Schule bei einem Trödler. Dort half er, beschädigte Teile zu reparieren und kaufte sich von seinem Lohn weitere Stücke zu seiner Sammlung. Nach 1933 begannen die Nazis, Juden zunächst zu drangsalieren. Viele von ihnen verließen Deutschland noch rechtzeitig und veräußerten ihre Wohnungseinrichtungen. Da gab es für den Trödler viel Arbeit und für Lothar das eine oder andere neue Stück für seine Sammlung. Als die Nazis dann die Juden deportierten, wurde sein Chef in die zurückgelassenen Wohnungen gerufen, um den Wert der Möbel zu bestimmen. Lothar sah die Verwüstungen, die die Braunhemden angerichtet hatten. Er hasste die Nazis, die begannen, auch ihm das Leben schwer zu machen.

Natürlich verlangte sein Vater, dass er in die Hitlerjugend eintreten musste. Da kam er aber nicht gut an. Denn es zeichnete sich bereits ab, dass aus ihm kein wehrhafter Mann werden würde, der für den Führer den Krieg gewinnen würde. Als er ein paar Mal aufsässig gegen seinen Lehrer wurde, schickte ihn sein Großonkel auf eine Privatschule. Der hatte schon früh erkannt, dass der Junge anders war. Der trug gerne Schürzen bei der Arbeit. Erst Männerschürzen. Aber als die nicht mehr gefertigt wurden, auch gerne Frauenschürzen. Die sollten ihn bis an sein Lebensende begleiten.

Inzwischen hatte der Krieg begonnen und war 1943 weit vorangeschritten. Berlin war für Frauen und Kinder nicht mehr sicher. Lothar kam zusammen mit Mutter, Schwester und Bruder nach Bischofsburg in Ostpreußen. Seine Mutter ergriff die Möglichkeit der Flucht vor ihrem Mann. Der hatte sie so schlimm geschlagen, dass ihr Nasenbein brach. Die beschloss, auf keinen Fall zu ihrem Mann zurück zu kehren, der noch in Mahlsdorf lebte. Die Antwort, warum er niemals in den Krieg gezogen ist, bleiben alle Dokumentationen schuldig.

Im Jahre 1944 wurde der Wohnraum für die Geflüchteten in Berlin knapp. Alle Hausbesitzer mussten zwangsweise Wohnraum zur Verfügung stellen. Aus diesem Grunde reiste Lothar zurück nach Mahlsdorf, um im Elternhaus Platz zu schaffen. Dabei traf er zwangsweise auf seinen Vater, der im Haus lebte. Der hatte inzwischen erfahren, dass seine Frau sich von ihm scheiden lassen wolle. Er wollte von Lothar wissen, für wen er sich entscheiden wolle. Aber er ließ ihm keine Wahl. „Wenn Du zu Deiner Mutter gehst, erschieße ich ich Dich auf der Stelle und danach sie“. er gab ihm eine Stunde Bedenkzeit, in der Lothar sich in seinem Zimmer einschloss.

Lothar wolle auf keinem Fall bei seinem Vater bleiben. Daher gab es für ihn nur ein „er oder ich“. Er erklärte seinem Vater die Entscheidung. Der eilte darauf zu seinem Revolver, verlor dabei aber sein Gleichgewicht. Lothar nutze die Situation und schlug ein paar Mal mit einem Nudelholz auf seinen Schädel. Als er vollends stürzte, schlug er solange weiter, bis sein Vater leblos am Boden lag.

wird fortgesetzt

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