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Die schlechte Nachricht zuerst. Die Freiheit hatte ich mir anders vorgestellt. In Spandau ist es eine lange staubige Straße, die hauptsächlich von Müllwagen befahren wird, die zur Müllverbrennungsanlage unterwegs sind. Die Freiheit ist ein ungepflegtes Gewerbegebiet mit unzähligen Plätzen voller Schrott, ausrangierten Touribussen und unansehnlichen Möbelhäusern. Wie mag da die Unfreiheit aussehen?
Wer die Freiheit und vielleicht auch Frieden möchte, der geht besser zu den Nonnen der Linh-Thuu Pagode zum Meditieren oder zu einem Besuch des Tempels oder des kleinen wunderschönen Gartens. Die Sekte kommt ursprünglich aus Vietnam und hat lange mit den Konflikten zwischen Ost und West gekämpft. In Westberlin siedelten sich die Boatpeople an, die vor den Kommunisten und den Umerziehungslagern flohen. Viele von ihnen hinterließen ertrinkende Verwandte auf der stürmischen See. Nach Ostberlin kamen die Arbeiter aus Nordvietnam. Nach der Wende standen beide Gruppen unversöhnlich gegeneinander. Auf der einen Seite die Kommunisten aus einfachen Verhältnissen, die im Westen keine Beschäftigung fanden und mit organisiertem Zigarettenschmuggel ihren Lebensunterhalt verdienten. Vielen wurde angeboten, gegen eine Prämie in ihre Heimat zurück zu kehren. Auf der anderen Seite die intelligenten Immigranten aus dem Süden, die sich in der langen Zeit eine respektable Existenz aufgebaut hatten. Auf der einen Seite die Peiniger, auf der anderen die Gepeinigten. Auf der einen Seite Menschen in billigen Klamotten, auf der anderen wohlhabende Damen in Gucci und Prada. Nach über 25 Jahren sind die Konflikte noch immer nicht überwunden, aber eine geringfügige Annäherung findet mittlerweile statt. „Ihr habt das hier im eigenen Land hingekriegt, aber wir müssen das in einem fremden Land lösen. Das wird noch eine Generation dauern“.
High in Spandau? Wird man automatisch, wenn man hier einige Zeit verbringt. Das buddhistische Kloster ist nicht der einzige Ort, der berauscht und die Sinne betört. Überall kann man am Wasser sitzen und ungewöhnliche sinnliche Erfahrungen machen. Selbst wenn man durch die eigentlich hässliche Straße „Am Schlangengraben“ wandert, haut einen das ungewöhnliche Dufterlebnis um. Vielleicht riecht es erst sehr stark nach Mango und ein paar Meter weiter nach Himbeeren. Aber einen Tag später sind es schwarze Johannisbeeren oder Zitronen. Des Rätsels Lösung ist eine Fabrik, die diese Düfte für die Lebensmittelindustrie herstellt. Zu gerne hätte ich mir angeschaut, wie das produziert wird. Aber bislang hatte ich keinen Erfolg. Bereits zweimal hat man auf meine Anfrage nicht geantwortet. Vielleicht ist es ja besser so. Sonst würde ich vielleicht kein Himbeereis mehr essen.
Authentisch ist der Wochenmarkt vor dem Rathaus. Hierhin kommen die Erzeuger der Umgebung. Sogar Liebhaber von Pferdefleisch werden hier fündig. Im nahen Kaffee 26 in der Jüdenstraße 26 wird man süchtig nach Mohnstreuselkuchen oder dem kräftigen Kaffee, der auch dem einzigartigen Eiskaffee seine besondere Note verleiht.
Spandau ist eine eigenständige Stadt in Berlin. Kein Wunder, denn sie wurde erst recht spät im Jahre 1920 eingemeindet. Es gibt daher eigentlich keinen Grund, Spandau zu verlassen – und viele Spandauer scheinen das auch nur ungern zu tun. Man kann das verstehen.
Was muss man in Spandau tun? Am besten erst mal gar nichts. Aber am Wasser sitzen oder im Kaffee 26 ist immer eine gute Wahl. Wer Sightseeing braucht, dem sei die Zitadelle empfohlen. Ein kurzes Dankgebet für den russischen Kommandeur, der am Ende des Krieges die Festung verschonte, ist angebracht. Besuchen Sie auf alle Fälle den Juliusturm. Da wurden die überschüssigen Steuergelder aufbewahrt. Das gibt es schon lange nicht mehr.