Der Stadtteil ist verwirrend. Offiziell heißt er Konradshöhe und gehört zu Reinickendorf. Aber am Ortsschild steht Tegel-Ort und das ist völlig deckungsgleich mit dem offiziellen Namen. Man kann hierhin von Alt-Tegel mit dem Bus fahren, aber auch der fährt nach Tegel-Ort. Busse nach Konradshöhe gibt es nicht. Vielleicht will man die Fremden von der Idylle abhalten. Also nähert man sich diesem Ort am Besten mit der Fähre und genießt den Blick auf die Ufer von Spree und Havel, die in Tegel-Ort aufeinandertreffen.
Es ist ein Privileg, hier zu wohnen. Das hat man sich entweder von den Vorfahren oder durch neuen Reichtum erworben. Ich stehe an Bord der Fähre und träume vor mich hin. Es ist ein warmer Sommertag. Ich bin der Senatsbeamte im mittleren Dienst mit Gleitzeit.. Es ist kurz nach 16 Uhr und ich komme etwas später als sonst nach Hause in mein trautes Heim – ist es dies?
Oder doch vielleicht jenes?
Meine Eltern, denen dieses Haus gehörte, sind bereits vor Jahren in ein Altersheim umgezogen und kommen nur gelegentlich vorbei, Gottseidank. Wenn ich nach Hause komme, hat meine wunderschöne Frau bereits den Rasen gemäht und den Grill bereitgestellt. Aber zum Grillen ist es noch zu früh. Schnell in die Jogginghosen und zu einem der idyllischen Strände für ein erfrischendes Bad.
Dann geht es langsam zurück. Der Grill ist natürlich meine Sache. Würstchen oder Steak? Dazu ein kühles Bier.
Upps – mein Traum ist schon zu Ende. Die Fähre hat mit einem Ruck angelegt. Die Fahrt dauert nur drei Minuten. Und in der Zeit hat man eigentlich alles Wesentliche über Konradshöhe gesagt. Es ist unglaublich schön hier, ziemlich abgeschieden, ein bisschen langweilig und spießig. Man kommt schlecht hin. Alexander von Humboldt hat seinen Bruder, der in der Nähe lebte, nur selten besucht.
Aber dem langsamen Wanderer fällt noch etwas auf, die Straßenschilder. Etwa ein Drittel tragen weibliche Vornamen, die Hälfte die Namen von Singvögeln. Aber das war jetzt wirklich alles. Wenn es so wäre. Richtig ist: die meisten der Vögel können gar nicht singen. Also tragen die Straßen Namen von Frauen und Vögeln. Soll man das weiter kommentieren? Am besten nicht. Denn für jeden Mann gibt es hier jetzt eine Grenze, die zu überschreiten sich verbietet.
Eigentlich.
Vielleicht kann man dem Thema die Schärfe nehmen, wenn man von Prosa abweicht und sich der Lyrik zuwendet. Weltbekannte Dichter haben Großartiges in Versen über die Liebe hervorgebracht. Aber weder bin ich weltberühmt, noch Lyriker. Aber wer weiß, was Goethe vor dem Werther geschrieben und dann weggeworfen hat? Was soll´s? Ich mache es trotzdem. Also jetzt ein paar Verse über Frauen und Vögel. Zunächst einmal ein Gedicht nur über einen Vogel. Es gibt ja mehr Straßennamen mit Vögeln in Konradshöhe. Gleich beim ersten Gedicht hab ich es mir unnötig schwer gemacht. Der Vogel reimt sich ganz schlecht. Also ist das Gedicht auch ganz kurz.
Der Specht und die Spechtin
Zur Spechtin sagt der Specht:
„Ich möcht“.
Sagt sie: „Nicht schlecht,
Herr Specht“.
Schon Shakespeare ist ja recht bekannt geworden wegen seiner Liebesgedichte. Aber für mich sind sie ein bisschen irreal. Da steht ein feuriger18-jähriger italienischer Liebhaber morgens um vier Uhr auf einer Leiter, über ihm eine leicht bekleidete 16-jährige auf dem Balkon. Auch in Verona ist es um die Zeit bestimmt kalt. Beide haben nur noch kurz zu leben, streiten sich aber über ornithologische Probleme. „Es ist die Nachtigall und nicht die Lerche…“. Da ist mein Gedicht über die Nachtigall deutlich bodenständiger.
Luise und die Nachtigall
Luise sitzt vor ihren Klopsen
und hört die Nachtigall – beim Dropsen.
Goethe hat so ein indirektes Gedicht über Vögel geschrieben : „Über allen Wipfeln ist Ruh…“. Wer in Wiesbaden lebt und den Krach der entflogenen Papageien jeden Tag in den Bäumen hört, weiß dieses Gedicht zu schätzen. Aber für mich ist es zu bedrohlich, denn es endet ganz abrupt: „Warte nur – balde ruhest du auch“. Meine Gedichte über Frauen und Vögel kommen dagegen ganz harmlos daher und sind mehr aus dem Leben gegriffen. Hier zum Schluss ein paar Beispiele:
Beate und der Spatz
Beate sagt zu ihrem Gatten:
„Du hast mir gestern was versprochen,
was wir schon lange nicht mehr hatten.“
„Ja“ sagt der Mann, „Ich hab´s gerochen.
Du hast geduscht, nach vielen Wochen.
Dein Rock ist kurz, die Bluse offen.
Doch kannst Du heut nicht viel erhoffen.
Sechs Bier, vier Schnaps. Ich bin besoffen.
Doch hast Du keinen Grund zu weinen.
Komm, sein ein Spatz – und pfeif Dir einen“.
Helga und der Auerhahn
Helga sagt: “Mein schlauer Mann,
nimm mich mal etwas rauer dran.
Ich möchte gern ein Aua han.“
Marlene und der merkwürdige Vogel
Es gibt so manches in der Vogelwelt,
was mir und anderen nicht gefällt.
So gibt es dorten eine Tierart,
die – kaum hat sie sich frisch gepaart-
ihr Ei in fremde Nester legt
und so der Aufzucht keck entgeht.
Marlene ist allein zu Haus.
Das macht ihr aber gar nichts aus.
Ihr Gatte ist auf vielen Reisen.
Das liegt ihr sehr, der immer heißen.
Sie nimmt sich Kurt, den Schornsteinfeger,
als ihren starken Bettvorleger.
Doch wird ihr dabei ganz schnell klar:
Kurt fegt nur einmal jedes Jahr.
So nimmt sie Franz, den Briefeträger.
Die Post kommt jeden Tag ins Haus.
Das sieht gleich sehr viel besser aus.
Doch klar ist, was danach geschah:
Der Bauch wird rund, ein Kind ist da.
Zum Glück ist Hans, ihr blöder Mann,
ein Mensch, der nicht addieren kann.
So schlüpft er in die Vaterrolle
und bleibt zu Haus –blöd für die Olle.
Doch Franz, der hat total verpennt,
warum das Dorf ihn Kuckuck nennt.
Ottilie und der eintönige Vogel
Ottilie hört dem Grammophon
zu, eine ganze Weile schon.
Ein Vogel setzt sich zu ihr nieder.
Erst putzt er sich nur sein Gefieder.
Dann singt er einen einzigen Ton:
das hohe A, ganz monoton.
Doch leider singt er keine Lieder.
Er singt nicht einmal eine Weise,
kein „Alle Vögel sind schon da“,
kein „Tirili und Trallala“.
Doch singt er laut und auch mal leise,
das hohe A, den schrillen Ton.
Drum heißt der Vogel auch A-Meise.
Versprochen: In Zukunft keine weiteren Gedichte.
Habe eben deine Seite entdeckt und war gespannt, was ein Berliner oder Besucher so über diese schöne Fleckchen Erde Konradshöhe zu berichten weiß.
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Vielen Dank für Deinen Kommentar. Demnächst git es was über Wedding, und nach und nach kommen alle 96 Stadtteile dran.
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Wieder super geschrieben. Bloß nicht aufhören. Vor allen Dingen nicht mit den Gedichten!
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