
Natürlich kann man nicht viel Aufhebens machen mit nur 33 Straßen, 2 Quadratkilometern Fläche, etwas über 6000 Einwohnern und nur drei Restaurants. Davon laut Tagesspiegel ein türkischer Italiener, ein libanesischer Spanier und ein polnischer Jugoslawe.
Borsigwalde gibt es als eigenständigen Ortsteil von Reinickendorf erst seit 2012. Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen. Den Namen verdankt es dem Gründer der gegenüberliegenden Borsigwerke, der ab 1920 Wohnungen für seine Mitarbeiter baute. Die waren aber zum Teil recht undankbar und nahmen nur zum Teil sein Angebot an. Die Häuser waren zwar sehr hübsch anzusehen und mit viel Aufwand errichtet worden. Es fehlte aber drinnen am Allernötigsten. Denn Borsigwalde war zu der Zeit weder an die Strom, Gas- und Wasserversorgung angeschlossen, noch an die Kanalisation. So waren auch wegen fehlender Bäder und Toiletten die hygienischen Verhältnisse katastrophal. Typhus breitete sich aus, auch andere Seuchen. Das änderte sich erst Jahre später nach der Rezession, als die Hälfte der Einwohner ohne Arbeit waren.
Dass der Nationalsozialismus mit seiner aufblühenden Rüstungsindustrie wieder für ausreichend Arbeitsplätze sorgte, scheinen die Anwohner bis heute nicht vergessen zu haben. In vielen Fenstern und Gärten ist die deutsche Fahne in unterschiedlichen Varianten zu sehen. Nirgendwo in ganz Berlin so häufig wie hier.Dass Hitler und die Rüstungsindustrie den Familien die Väter und Söhne raubten und später auch die Arbeitsplätze, scheint man dagegen vergessen zu haben. Bereits kurz nach dem Krieg wurden die Fabriken von französischen und russischen Truppen abgebaut und in deren Heimatländer abtransportiert.
Borsigwalde zusammen mit Oberschöneweide (AEG Stützpunkt) und Siemensstadt sind die Zeugen einer untergehenden deutschen Industrie. Alle drei großen Pioniere haben sich aus Berlin oder aber sogar komplett vom Markt verabschiedet. Der Enthusiasmus und die Innovationskraft der Gründer haben den Zweiten Weltkrieg nicht überdauert. Wer Borsigwalde besucht, wird zwar keine Sehenswürdigkeiten vorfinden. Aber hier kann man heute schon erfahren, wie vielleicht in ein paar Jahren Wolfsburg, Sindelfingen oder Ingolstadt aussehen werden. Die ehemaligen Werksanlagen sind stillgelegt. Die freien Hallen bieten jetzt Start-ups mit einigen wenigen Mitarbeitern oder Baumärkten und Shopping Centern reichlich Raum für kleines Geld.
Die Siedlungen der Arbeiter in der Gegend der Räuschstraße stehen heute unter Denkmalschutz, wie auch die Schule mit den zwei getrennten Eingängen für Mädchen und Jungen.

Das erinnert mich an meine Jugendzeit. Wir waren noch etwas weiter zurück. An Mädchen auf der gleichen Schule war überhaupt nicht zu denken. Aber getrennt wurde auch – nach Konfessionen. Die Trennung verlief exakt in der Mitte der Toiletten. Man konnte also, wenn man musste, entweder evangelisch oder katholisch.
Was die Menschen in Borsigwalde wohl kaum kümmert. Die wohnen in ihren paar Straßen entweder in Wohnhäusern oder auch alleine, pflegen Garten oder Hinterhof, brauchen weder Kino noch Theater und gehen maximal türkisch-italienisch, libanesisch-spanisch oder polnisch-jugoslawisch essen.