Mahls-, Bies- und Kaulsdorf – drei mal Dorf

Alle drei Stadtteile gehören zum Bezirk Marzahn-Hellersdorf, der aus fünf Stadtteilen besteht. Nur einer hat kein „Dorf“ im Namen, nämlich Marzahn, und Hellersdorf ist kein Dorf. Da macht es Sinn, die drei anderen Stadtteile in einem Bericht zusammen zu fassen. Die drei „Dörfer“ belegen zusammen etwa 34 Quadratkilometer von Berlin, beherbergen aber nur etwa 80.000 Personen. Da erkennt der Sachkundige schon das Problem. Die drei Stadtteile sind das größte zusammenhängende Gebiet von Ein- und Zweifamilienwohnhäusern in Deutschland. Die meisten auch mit riesigen Gärten. Da gibt es ordentlich was zu laufen. Wahrscheinlich aber wenig Überraschungen. Oder vielleicht doch?

Mahlsdorf ist der ausgedehnteste Bezirk. Es gibt über 200 Straßen und die sind alle lang. Es grenzt an Köpenick. Deswegen sind die Mahlsdorfer eigentlich die wirklichen Köpenicker. Sie schwärmen für Union Berlin. Den Schlachtruf der Fans kann man an den unterschiedlichsten Ecken finden, so auch auf dem Haus im Bild oben: “ EISERN“. Nach einem Song von Nina Hagen.

Mahlsdorf wird durch die S-Bahn in zwei Teile geteilt. Der südliche, an Köpenick angrenzende Teil wird noch einmal durch die Straße Alt-Mahlsdorf durchschnitten. Wer bei dem Namen allerdings romantische Gefühle entwickelt, ist getäuscht. Es handelt sich um die vierspurige B1 nach Aachen, die ein Überqueren nur an Ampelkreuzungen sicher zulässt. In Kaulsdorf heißt die gleiche Straße übrigens Alt-Kaulsdorf.

Tatsächlich gibt es aber noch die alte Dorfkirche und den dazugehörigen Friedhof, sonst aber rein gar nichts mehr.

Hat man es jedoch irgendwie über die lebensgefährliche Straße geschafft, so kommt man in ein Gebiet riesiger Freiflächen und Felder, zum Wuhletal. Hier gibt es einige Seen und Waldgebiete..

Mahlsdorf bietet im Wesentlichen Infrastrukturangebote nur im S-Bahnhofsbereich und auf dem Hultschiner Damm an. Es gibt aber ein paar Ausnahmen. Mitten im südlichen Wohngebiet stößt man unerwartet auf ein Chinesisches Restaurant.

Dann gibt es im nördlichen Teil noch das Geschäft von Röschen mitten zwischen all den Einfamilienhäusern. Röschen richtet sich zwar mit ihrem Angebot am alltäglichen Bedarf aus. Dennoch ist sie weit über Mahlsdorf hinaus durch Presse und Fernsehen bekannt geworden. Warum das so ist, wird hier nicht verraten. Das ist eine eigene Geschichte wert, die bald erzählt werden wird.

Kultur in Mahlsdorf? Ja!!! Das Gründerzeitmuseum im Gutshaus Mahlsdorf kurz hinter der B1 am Hultschiner Damm 333.

Im Kellergeschoss ist die erste Zillebar naturgetreu aufgebaut worden. Natürlich mit dem dazugehörigen Hurenzimmer, das leider wegen Corona zur Zeit gesperrt ist. Aber die Wirtsstube selbst kann man sehen.

Lothar Berfelde hat eine beeindruckende Sammlung zusammen gestellt, die leider nur mittwochs und sonntags zugänglich ist.

Wer ist Lothar Berfelde? Der hatte die meiste Zeit seines Lebens einen anderen Namen, und das ist schon wieder eine Geschichte, die gesondert erzählt werden muss.

Wer einmal hier gelandet ist, sollte auch den kleinen angrenzenden Park besuchen. Geht man den Hultschiner Damm etwas weiter, so findet man auf der rechten Seite ein kleines Brachgebiet. Der Zugang ist nicht ganz leicht zu finden, aber der Anblick lohnt sich wirklich.

Das zweite „Dorf“ Biesdorf ist in etwa genauso groß wie Mahlsdorf, über 200 Straßen, 12 Quadratkilometer Fläche und etwa 30000 Einwohner.

Ich beginne mit der dem S-Bahnhof gegenüberliegenden Oberfeldstraße und bewege mich in Richtung Marzahn. Querstraßen wie die Biesdorfer Blumenwiese oder die Biesdorfer Promenade haben mich angelockt. Letztere ist ein besserer geteerter Feldweg, erstere die letzte Erschließung eines Neubaugebietes für noch mehr Einfamilienhäuser. Diese stehen wegen der inzwischen gestiegenen Grundstückpreise deutlich näher nebeneinander. Von Wiese keine Spur. Vorher noch das aus dem Sozialismus stammende Studentenwohnheim, einem chilenischen Kämpfer für den Sozialismus gewidmet. Der riesige Block sieht beängstigend aus. Abe es gibt im Internet ausschließlich positive Kritiken der Bewohner. Manche wollen gar nicht wieder weg. Da müssen sie halt zwanzig Semester studieren.

Ich bin jetzt bereits eine gute Stunde unterwegs, habe dabei aber nur drei Straßen komplettiert. Das verheißt eine qualvolle Wanderung. Die Häuser auf der Oberfeldstraße sehen älter aus als in Mahlsdorf, viele haben auch noch die dunkelbraune Farbe von vor der Wende. Die Geschichtsbücher erklären, dass man bei Ausgrabungen auf Reste einer Siedlung aus den 1000er Jahren vor Christus gestoßen ist. Das ist bei Weitem die älteste Siedlung um ganz Berlin herum. Aber ganz so alt sind die Häuser auf der Oberfeldstraße dann doch nicht. Am späten Nachmittag habe ich den Teil nördlich der S-Bahn abgewandert. Mehr geht mental wirklich nicht. Es ist eigentlich über Stunden immer das Gleiche. Keine Überraschung. Es wäre wohl noch kürzer geworden, hätte ich nicht mittendrin zufällig diese hervorragende Eisdiele entdeckt. Die Gelateria La Strada bietet täglich etwa zwanzig verschiedene Eissorten an. Alles ist wirklich selbst hergestellt. Vier Sorten waren ausgesprochen köstlich. Mehr konnte ich leider nicht probieren.

Der zweite Tag beginnt bedrohlich. Die S-Bahn, mit der man am schnellsten in die weiter entfernten Gebiete kommt, streikt. Also muss ich die U-Bahn nehmen und meinen akribisch geplanten Wanderweg genau umdrehen. Ich muss also jetzt die Straßen praktisch rückwärts laufen. Was vorher rechts war, ist jetzt links. Aber nur, wenn ich beim Planen nicht schon selbst rechts und links verwechselt habe. Ausgerechnet beginnt die Wanderung dadurch heute an der Schmetterlingswiese. Was ich befürchtet hatte, tritt auch prompt ein. Da ist überhaupt keine Wiese mehr, sondern es ist das zweitjüngste erschlossene Bauland mit Einfamilienhäusern in Biesdorf. Alle Straßen sind nach Schmetterlingen, oder besser gesagt, nach Falten benannt. Wenn die hier alle vorher auf der Wiese herumgeflattert sind, war das mal ein komplett intaktes Ökö-System. Den einzigen Schmetterling habe ich gemalt auf der Hauswand des Kindergarten gesehen. Also schnell durch all die Zitronen, – Schiller, -Augen, – Eis, – Segel, – oder Mohrenfalter-Straßen bis zum Wuhletal. Hier kann man studieren, wie Biesdorf vor der Bebauung ausgesehen hat. Schöne Wanderwege durch ungemähte Wiesen und Feuchbiotope.

Dann ist es aber wieder unausweichlich, ein Stück entlang der vierspurigen Bundesstraße eins zu gehen, die hier natürlich Alt-Biesdorf heißt. Tatsächlich steht die alte Gnadenkirche mitten drauf. Denn als man die alte Straße auf vier Spuren erweiterte, stand die Kirche im Weg. Also baute man die neuen Spuren um sie herum.

Von hier ist der Weg zum Biesdorfer Schloss nicht mehr weit. Es ist ein gut erhaltenes oder restauriertes Gebäude mit einem weitläufigen Park und einer Freilichtbühne. Das Schloss selbst ist innen leer und stellt seine Räumlichkeiten für Kunstausstellungen zur Verfügung. Das hat Vorteile. Man zahlt keinen Eintritt und kann auf die oft langgedehnten Führungen verzichten. Vom Balkon des Restaurants hat man einen schönen Blick in den Garten.

Leider muss es weiter gehen, denn es warten heute noch über 50 Straßen auf mich. Viel gibt es nicht mehr zu sehen in der Einfamilien-Wüste. Aber ein See ist eigentlich immer drin. So auch heute. Bei der nächsten Wanderung nehme ich meine Badehose mit oder wenigstens ein Handtuch.

Für heute ist Schluss mit Biesdorf. Aber über 90 Straßen sind noch zu gehen. Da erwarte ich aber nichts Besonderes mehr. Und dann mache ich Kaulsdorf fertig oder etwa Kaulsdorf mich? Überraschungen?

Um es gleich vorweg zu sagen: Kaulsdorf hat mich fertig gemacht. Das sind 183 Straßen auf 8,8 Quadratkilometern ohne Plan. Neunundneunzig Prozent Einfamilienhäuser mit Grundstücken unterschiedlicher Größe. Viele vor dem Krieg gebaut, einige erst vor Kurzem. Überall hängen Schilder des ortsansässigen Maklers. Die Erben wollen Bares sehen. Da gibt es nichts. Kein Schloss, kein Museum. Ich habe nur wenige Fotos gemacht. Das Beste, das man sagen kann: für Fahrradfahrer und Wanderer ist das Wuhletal sehr hübsch Leider gibt es dort keine Straßen, so dass ich dort nur ganz kurz war.

Einiges ist vergleichbar. Die hässlichste Straße heißt Alt-Kaulsdorf und ist die B1 nach Aachen. Es gibt eine Dorfkirche. Sonst ist da nichts.

Für den hungrigen Wanderer, der hier täglich zwanzig Kilometer und mehr gewandert ist, gibt es drei Restaurants mit einem Warnschild vor der Tür: „Deutsche Küche“. Es gibt keinen Ortskern mit Geschäften für den täglichen Bedarf, nur die üblichen Supermärkte und Baubedarfsläden an einer Ausfallstraße. Nach drei Tagen habe ich ein Cafe mit Eisdiele gefunden, das zum Glück ganz versteckt liegt. Die vielen Sorten Eiscreme und der Kuchen schmecken wie Industrieproduktion, der Eiskaffee kommt wahlweise in Null-Komma-Drei oder Null komma-Fünf. Der Aperol Spritz ist sehr günstig. Ich nenne den Namen nicht. Ich bin auch zwei Tage ohne ausgekommen.

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