
Gestatten, mein Name ist Jacob Paul von Gundling. Das ist der Name, welchen ich bei meiner Geburt am 19. August 1673 erhielt. Gestorben bin ich am 11. April 1731 als Jacob Paul Freiherr von Gundling. Wenn Sie sich jetzt fragen, warum ich nach fast dreihundert Jahren in dieser Geschichte auftauche, dann hat das zwei Gründe. Erstens bin ich fast in Vergessenheit geraten und zweitens wurde mir nach meinem Tode übelst mitgespielt, wie auch schon zu Lebzeiten. Ich muss das einmal selbst aufklären, damit ich endlich meine ewige Ruhe finde.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich tagelang im Schloss mit riesigen Schmerzen auf den Tod wartete. Ich litt unter unerträglichen Magengeschwüren. Die hatte ich mir sicherlich aufgrund des Spottes, der sich täglich über mich ergoss, bekommen. König Friedrich Wilhelm hatte bereits vor zehn Jahren ein Weinfass in mein Zimmer stellen lassen, das mich jeden Tag an meinen zu großen Alkoholkonsum erinnern sollte. Darauf hatte er einen Vers anbringen lassen, der mich zutiefst traf.
Hier liegt ohne Haut
Halb Mensch, halb Schwein, ein Wunderding:
In seiner Jugend klug,
In seinem Alter toll,
Des morgens wenig Witz,
Des Abends allzeit voll,
Beweint, ruft Bachus laut!
Diß theure Kind ist Gundeling?
Nun war meine größte Sorge, dass ich in dem Fass nach meinem Tod herausgerollt und dem Gespött der Menge ausgesetzt würde. Zunächst wurde ich aber auf ein Brett gelegt und ins nahe gelegene Witwenhaus gebracht. Dort schnitten die Wundärzte mich auf, um die Todesursache zu klären. Sie fanden meine Gedärme völlig in Ordnung, allerdings ein Loch in meinem Magen. Daraus schlossen sie, dass durch mein unmäßiges Trinken der Magen geplatzt sei. Ob man mich danach wirklich im Weinfass auf den Friedhof gebracht hat, wurde von den Historikern lange Zeit für ein Gerücht gehalten. Dem König traute man einen solchen Frevel nicht zu. Er selber hat es auch immer bestritten. Aber ich schwöre es: es ist genauso gewesen. Ich war ja schließlich dabei. Noch viel schlimmer war allerdings, dass mein ärgster Feind am Hofe dazu auserkoren war, eine Schandrede an meinem Grab zu halten. Friedrich Wilhelm war der Verursacher. Daran gibt es gar keinen Zweifel.
Dabei fing alles so wunderbar an. Geboren wurde ich im Jahre 1673 im fränkischen Hersbruck. Meine Familie war wohlhabend und angesehen. Nach meiner Schulzeit widmete ich mich dem Studium der Rechtswissenschaften und der Geschichte. Besonders gerne erinnere ich mich an die ausgedehnten Reisen nach Holland und England auf Einladung des Jacobus von Tetzell, die ich im Alter von gerade einmal 26 Jahren unternahm. Sechs Jahre später war ich bereits so bekannt, dass mich König Friedrich an seinen Hof berief. Dort machte ich schnell Karriere und wurde zunächst Professor für Recht und Geschichte an der Berliner Ritterakademie und ein Jahr später Historiker am Oberheroldsamt. Leider starb der König viel zu früh, schon sechs Jahre nach meiner Berufung.
Sein Sohn Friedrich Wilhelm beachtete mich eine Zeitlang überhaupt nicht. Dieser ungebildete und ungehobelte Klotz ließ mich lange Zeit in Ruhe, da er für die Wissenschaft keinerlei Interesse zeigte. Er hatte sich beim Amtsantritt drei Ziele gesetzt. Der Staatshaushalt musste saniert werden. Den hatte sein Vater durch ein zu verschwenderisches Leben ruiniert. Er verordnete nun höchste Sparsamkeit bei Hofe und erhöhte die Steuern, Eine Armee mit gut gewachsenen langen Männern sollte aufgebaut werden. Das war ein richtiger Spleen, der den Staat eine Menge Geld kostete. Überall in der Welt waren seine Werber unterwegs, um besonders langwüchsige junge Männer zu finden. Der Preis, den sie zahlten, betrug je nach Länge zwischen 600 und 3000 Thaler. Wenn ausländische Diplomaten dem König besonders gefällig sein wollten, so brachten sie als Geschenk ein paar „Lange Kerls“ mit. Eine starke Armee bildet man doch deswegen, damit man Feinde besiegt. Aber schauen Sie sich mal Bilder der Soldaten von früher an. Die könnten heute eher in einer Model-Agentur arbeiten oder im Ballett auftreten. Tatsächlich haben die Jungs auch nur eine belanglose Schlacht um Danzig geführt und gewonnen. Drittens sollte der Einfluss der Wissenschaft zurückgedrängt werden. Der König war war der Meinung, dass diese eingebildeten Männer ständig Dinge in Zweifel zogen und hinterfragten und damit die Staatsräson ruinierten, die er jedem Bürger abverlangte. Schließlich wurden Ihre Majestät im Jahre 1713 auf mich aufmerksam. Zunächst enthob er mich aller bisherigen Ämter, die er für nutzlos hielt, um mir dann neue zu geben. Er, der offensichtlich zu faul oder unfähig war, längere Artikel in deutscher Sprache zu lesen oder gar zu verstehen, machte mich zum Vorleser und Historiografen. Von da an begann mein ganzes Elend.
Der König hatte um sich herum eine merkwürdige Schar tölpelhafter, grobschlächtiger Männer im Tabakskollegium versammelt, zu denen ich ab sofort auch gehörte. Da passte ich mit meiner immer korrekten Kleidung und Ausdrucksweise überhaupt nicht hin. Kein Wunder, dass sich jeder über mich lustig machte, an der Spitze der König selbst. Er wollte damit deutlich zum Ausdruck bringen, wie sehr er die Wissenschaften verachtete. Außerdem war es ihm offensichtlich peinlich, dass da ein Mann unter ihm diente und von vielen Dingen mehr verstand, als er selbst. Ich war nicht in der Position, dem König und den Kollegen zu widersprechen. Wollte es aber auch nicht, weil es nicht meinem Charakter entsprach. Das nutzten diese Trottel brutal aus und verpassten keine Gelegenheit, mir einen Streich zu spielen. Ich selbst hasste diese Treffen im Tabakskollegium, weil sie sich nicht selten zu meinen Ungunsten entwickelten. Davon ist in den bereits kurz nach meinem Tode veröffentlichten Biografien ausgiebig die Rede.
Die Reise in einem Weinfass zu meinem Grab war nur der Höhepunkt einer unendlichen Reihe von Schmähungen. Eines abends, als ich schon reichlich getrunken hatte, brachten mich meine Kollegen nach Hause und zu Bett. Darin lagen aber bereits zwei junge Bären, die ihre Lagerstatt verteidigten und mich elendiglich zerkratzten und verunstalteten. Am nächsten Tag musste ich das Gespött meiner Kollegen ertragen.
Im Tabakskollegium wurde ich immer der „Hofnarr des Königs“ genannt. Aber das traf den Sachverhalt überhaupt nicht. Zum Einen war ich als Wissenschaftler ein völlig humorloser Mensch. Zum Anderen hätte ich es nie gewagt, dem König respektlos gegenüber zu treten. Der dagegen verhielt sich mir gegenüber immer so. So wurde ich von ihm gezwungen, im Tabakskollegium als Hase verkleidet aufzutreten. Ein eindeutiger Hinweis darauf, dass ich keine Stärke zeigte. Aber war es nicht eigentlich der König selbst, der sich damit lächerlich machte? Wenn er es nötig hatte, mit einer so kleinen Wurst, wie ich sie war, solchen Schabernack zu treiben?
Ein anderes Mal wurde ein Affe genau so herausgeputzt wie ich. Er wurde als mein unehelicher Sohn vorgestellt, und ich sollte ihn küssen. Dann passierte es, dass man mich in einer Sänfte nach Hause trug, bei der nach kurzer Wegstrecke der Boden herausbrauch und mich auf den Gehweg beförderte. Kein Wunder, dass ich manchmal eine fürchterlich Wut verspürte und besonders bei Trunkenheit wild auf meine Kollegen losging. Die aber waren in der Überzahl. Ich zog immer den Kürzeren dabei.
Nach all den Pöbeleien sah ich mich heimlich nach einer anderen Betätigung um. Ich fuhr zu meinem Bruder Nikolaus Hieronymus nach Halle und bat um Hilfe. Der aber ließ mich umgehend nach Potsdam zurückbringen. Mit Fahnenflucht wollte er nicht in Verbindung gebracht werden.
Ein zweiter Fluchtversuch endete ähnlich kläglich. Graf Schaffgotsch bot mir eine Stelle als Hauslehrer in Breslau an. Bedingung war, dass ich zum Katholizismus übertrete. Das war allerdings unannehmbar für mich. Selbst in Breslau spürte ich den langen Arm des Königs, der mich zur sofortigen Rückkehr aufforderte. Dass der mich damals nicht hart bestrafte, blieb mir ein Rätsel. Aber wahrscheinlich konnte er keinen Besseren für seine Erniedrigungen finden. Im Gegenteil übergab er mir wichtige wissenschaftliche Ämter, wie die Präsidentschaft der Akademie der Wissenschaften. Eigentlich war das eine große Ehre als Nachfolger von Leibniz berufen zu werden. Aber der König wollte nur wieder einmal zeigen, dass „jeder Trottel so ein Amt bekleiden kann“. Was mich besonders betrübt, ist die Tatsache, dass die Akademie nach dem Tod des Soldatenkönigs selbst begann, diese für sie nicht sonderlich rühmliche Epoche aus den Analen zu streichen. Damit wurde auch meine Präsidentschaft nicht mehr gewürdigt, obwohl meine Arbeit zu der Zeit durchaus Anerkennung hätte finden können. Also muss ich das posthum wohl selber tun. Besonders hervorheben möchte ich dabei die Gründung der Chirurgischen Fakultät und einige Veröffentlichungen über Brandenburg und Pommern.
An einem anderen Tag war der König wohl gut gesonnen und erhob mich in den Adelsstand, was mir einen beträchtlichen Vermögensvorteil verschaffte. Er selbst entwarf mein Wappen, welches in neun Felder aufgeteilt war, und beschrieb auch genau, warum er sich das so ausgedacht hatte. Aber das ist jetzt vielleicht zu langweilig. Das Wappen machte schon was her. Leider gab es zu meiner Zeit noch keinen Farbdruck, so dass Sie es nur in schwarz-weiß betrachten können.

Bereits vorher hatte ich Anne de Larray, die Tochter eines Hugenotten, kennengelernt. Die Familie war aus Frankreich geflohen und hatte nach einer Zwischenstation in Holland Zuflucht in Preußen gefunden. Der König war immerhin klug genug, um zu erkennen, dass der junge Staat gebildete Flüchtlinge zu seinem Nutzen verwenden konnte. Natürlich war die Liaison ständiges Gespräch im Kollegium. Schon lange wurde darüber heimlich diskutiert, wie man die anstehende Hochzeit sabotieren könne. Schon vor dem offiziellen Datum wurden meine Braut und ich in satirischen Schriften gnadenlos heruntergemacht. Um dem Gespött der Kollegen zu entgehen, haben wir dann bereits drei Tage vor dem offiziellen Termin geheiratet. Aber tatsächlich wurde mir dann am Vortag des öffentlichen Datums ein so starkes Abführmittel in meine Abendmahlzeit gemischt, dass ich am nächsten Tag das Haus nicht verlassen konnte.
Die Bosheiten hörten nicht auf. Einmal wurde ich beim Nachhauseweg in einen zugefrorenen See geschmissen. Wegen meiner Leibesfülle brach das Eis und ich konnte mich ohne fremde Hilfe nicht befreien. Alle Herumstehenden prusteten vor Lachen, aber halfen mir erst im letzten Moment. Die Kollegen im Tabakskollegium machten sich einen Spaß daraus, mich mit Alkohol abzufüllen. Damals trank man den Rotwein noch aus Kannen. Ich konnte in kürzester Zeit acht davon herunter spülen. Als das einmal passierte, wurde ich auf der Stelle zum König befohlen, konnte aber selbst nicht mehr laufen. Also zerrten mich zwei Offiziere in seinen Speisesaal. Dem König missfiel mein Benehmen gar sehr. Also entließ er mich auf der Stelle in meine Gemächer.
Kein Wunder, dass meine Magengeschwüre wegen dieser Aktionen immer schlimmer wurden, bis ich dann auch daran verstarb. Mein unwürdiges Begräbnis musste ich nicht selbst erleben. Aber viel ist darüber berichtet worden. Mein Leichnam wurde in ein Narrenkostüm gepackt und der in das Weinfass. Acht Personen brachten mich unter dem Gelächter der Menge bis zum Stadtrand von Potsdam. Von dort ging mein Weg zum Friedhof ins nahegelegene Bornstedt. Der König verpasste mir einen Grabstein, der als Symbol der Feigheit einen Hasen zeigt. Alle Geistlichen weigerten sich, an dieser unchristlichen Zeremonie teilzunehmen und mussten sich später dafür gegenüber dem König rechtfertigen.
König Friedrich Wilhelm hat immer bestritten, dieses Begräbnis so inszeniert zu haben. Spätere Historiker haben diese Auffassung geteilt Ein so großer Herrscher könne nicht solchen Unfug betrieben haben. Ich aber schwöre, dieser Idiot hat mich Zeit seines Lebens gequält. Seine Abneigung gegen die Wissenschaft hat aus mir diesen Hanswurst gemacht. Selbst meinen Tod hat er noch zu seinen widerlichen Späßen genutzt. Zum Glück gibt es neue historische Forschungen, die aufgrund eines Briefes belegen können, dass der König wirklich so abartig war.
Warum ich mich nicht gewehrt habe? Das wird mir von allen Biografen vorgeworfen. Ich habe gutes Benehmen gelernt, war immer vorschriftsmäßig gekleidet, aber nie Soldat gewesen. Ich habe dank meiner Position vielen Emporkömmlingen geholfen, beim König vorstellig zu werden. Ich war umgeben von Neidern, die mir meine Position nicht gönnten. Menschen, die mir intellektuell unterlegen waren, rächten sich durch derbe Späße. Ich selbst aber habe niemals diesen Vorteil genutzt, um andere schlecht zumachen. Der König umgab sich mit Rüpeln und hasste kluge Menschen. Gegen so Viele hatte ich keine Chance.
Nachdem ich nun meine Sicht der Dinge erklären konnte und den König in einem anderen Licht erscheinen lasse. bin ich es zufrieden. Jeder kann nun die wahren Begebenheiten selber nachlesen. Das Internet vergisst nichts, und ich kann jetzt endlich zu meiner längst verdienten Ruhe kommen.
Noch ein letztes Wort: wenn man sein eigenes Leben erzählt, muss man doch wohl keine Quellenangaben machen. Aber ich bin Wissenschaftler, da ist das unumstößlich.
Anton Balthasar König; „Leben und Thaten Jakob Paul Freiherrn von Gundig: königl.Preussischen Geheimen Krieges-, Kammer-, Ober-,Apellations- und Kammergerichts-Raths… eines höchst seltsamen und abenteuerlichen Mannes; aus bisher unbekannten Nachrichten… gezogen und anschaulich gemacht; mit dem wohlgetroffenen Bildnis und Wappen des Freiherrn von Gundling, erschienen bei Franke in Berlin im Jahre 1795, verfügbar im Sondermagazin der Berlin Sammlungen in der Zentral-und Landesbibliothek Berlin
dto. verkürzte Faksimile-Ausgabe von 1980 mit Kommentierung, ebnso verfügbar im Lesesaal der ZLB Berlin
Martin Sabrow: Herr und Hanswurst: das tragische Schicksal des Hofgelehrten Jacob Paul von Gundling, erschienen 2001 DVA Stuttgart, ausleihbar in der ZLB
Hannelore Lehmann: Wurde Jakob Paul Freiherr von Gundling (1673 – 1731) in einem Sarg begraben, der die Gestalt eines Weinfasses hatte?: der Brief eines Potsdamer Pfarrers bestätigt das. In Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte(Seite199-217), Muss mit Leseausweis aus dem Magazin der ZLB bestellt werden.
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, Seite 146-147 (kann im Internet gefunden werden)
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