
Mit der Olympiade 1936 ist der Größenwahn im Westend eingezogen. In den bis dahin beschaulichen Stadtteil wurde eine große Schneise geschlagen. Das Olympiagelände beherbergt diverse Sportstätten, einen riesigen Aufmarschplatz und entsprechende Verkehrsanbindungen für hunderttausende Menschen, die hier gleichzeitig einfallen können. Was sie gottlob schon lange nicht mehr tun. Frühestens zur Fußball EM im Jahre 2026 wird es wieder wie vor neunzig Jahren werden.
Westend ist der Stadtteil mit den wohl meisten Alleen. Viele noch so kleine Nebenstraßen tragen als Nachnamen dieses Wort. Selbst, wenn kein einziger Baum dort steht. In Charlottenburg wäre das Blasphemie! Hier geht das selbstverständlich durch und wurde wahrscheinlich bisher nur von mir bemerkt. Nicht übersehen kann man die vielen Sehenswürdigkeiten: den ersten Funkturm, das größte Freilichttheater Waldbühne, das Messegelände oder das alte Gebäude des Berliner Rundfunks.


Wenn es eine Gelegenheit zur Besichtigung gibt, sollte man sie unbedingt wahrnehmen. Denn das Gebäude entfaltet seine Pracht besonders von innen.

Aber nicht nur der Tourist kommt hier auf seine Kosten. Es gibt viele beschauliche Ecken und Plätze zum Verweilen. Besonders empfehlenswert das tibetisch-buddhistische Zentrum RIGPA in der Soorstraße, wo man am frühen Nachmittag zum gemeinsamen Meditieren eingeladen wird.

Woher kommt der Name des Stadtteiles? Auch da war man großspurig. London mit seinem Villenviertel für das Großbürgertum war das Vorbild. Bereits im Jahre 1866 begann man mit der Bebauung eines Viertels zwischen vier Alleen in Ausrichtung aller Himmelsrichtungen. Akazien-, Platanen- Ahorn- und Kirschallee wurden mit den gleichnamigen Bäumen bepflanzt. Mittendrin der Branitzer Platz. Es entstand ein riesiges Ensemble protziger Bauten für betuchte Familien und ihre Dienerschaft. Im Westend war man unter sich gemäß der damals geltenden Standesordnung. Aber auch später blieb das Westend der Platz für die Reichen und Schönen. Das Verzeichnis der berühmten Bewohner ist lang und liest sich wie ein „Who is who“ des deutschen Geldadels. Im Westend lebten Schaupieler und Sänger, wie Lil Dagover, Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Heinz Rühmann oder Johannes Heesters, die Fliegerin Elly Beinhorn oder Künstler wie Emil Nolde, Richard Strauss, Robert Walser und Dietrich Fischer-Dieskau. Aber auch der Freiherr zu Gutenberg ließ sich hier während seiner kurzen Ministerzeit nieder.
Das Westend blieb während des Zweiten Weltkrieges weitgehend von Bombenangriffen verschont. Die Stadtverwaltung sorgt heute dafür, dass die Bausubstanz nicht verändert wird. Allerdings haben die Eigentümer gewechselt. In viele der pompösen Bauten sind Botschaften eingezogen. So beherbergt die ehemalige Goldsteinvilla jetzt die Diplomaten aus Namibia.

Mein Lieblingsort im Westend ist das Cafe Benjamine in der Sensburger Allee, nicht weit entfernt von der S-Bahnstation „Heerstraße“ und dem Georg-Kolbe-Museum. Hier sitzt man im Sommer in einem wunderschönen Garten unter alten Bäumen, fernab vom Lärm der großen Stadt. Oft verweile ich hier einen ganzen Nachmittag, schreibe an meinen Geschichten und lasse mich dabei von den Statuen des Künstlers Kolbe inspirieren. Mehr davon kann man natürlich im Museum besichtigen, aber auch im nahe gelegenen Georg-Kolbe-Hain.
