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Plattenbauten, soweit man blickt: Plattenbauten. Eigentlich gar nicht so schlimm. Die meisten sind von Privatfirmen übernommen, grundsaniert, mit Balkonen versehen, bunt angestrichen und verputzt. Die Platten wurden abgeschlagen. Jetzt sieht es nicht mehr so sanitär aus. Dafür sind die Mieten gestiegen. Dazwischen große, manchmal gepflegte Grünflächen und Kinderspielplätze. Aber Kinder spielen heute nicht mehr draußen. Dann weiter hinten die nicht sanierten. Ich gehe mit meinem Block, um die gewanderten Straßen aufzuschreiben. Schon werde ich angesprochen. Was ich denn hier mache? Bin ich etwa für eine dieser Firmen unterwegs, die ganze Häuserblocks aufkaufen? Die Angst ist groß, dass die Mieten unbezahlbar werden.
Damals, als Hellersdorf aus dem Boden gestampft wurde, um Wohnraum für die Arbeiter zu schaffen, waren die Mieten preiswert. Heute wohnen hier die Arbeitssuchenden, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, Hartz IVer, Mini-Jobber, 1 Euro Verdiener. Sie wohnen am Ende der Welt, nach Berlin sind es dreißig Minuten mit der U-Bahn. Aber nach Hellersdorf kommt man nicht, um nach Berlin zu fahren. Man wohnt (lebt?) hier, um den Tag herum zu bringen.
Frank, etwa vierzig, steht seit dreißig Minuten vor der Tür im Jogginganzug, raucht, trinkt, wartet auf den Postboten. Aber was soll der bringen? Mahnbescheide, Nachricht vom Amt?, bestimmt keine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Was ich hier mache, will er wissen. Ob ich von so einem Grundstückshai komme, der die Wohnungen kaufen will? Ich gebe Entwarnung. Aber die Antwort verursacht Kopfschmerzen. Alle Straßen von Berlin durchwandern? Wozu? Für Flüchtlinge? Aber die kriegen doch schon soviel vom Staat. Eine Nachbarin hat uns hinter der Gardine beobachtet. Jetzt kommt sie auf den Balkon, um zu sehen, was da los ist. Fremde Besucher kommen hier wohl nicht häufig vorbei. „Morjen“ sagt sie zu Frank. Es ist vier Uhr nachmittags. Ihre Stimme ist laut und rauchig. Sie trägt einen Bademantel – nein sie hat einen Bademantel an- und zündet sich erst mal eine Zigarette an. Macht sich an den leeren Balkonkästen zu schaffen. Es soll so aussehen, als ob sie sich nicht für uns interessiert. Die Frau ist hager, ungekämmt, sieht zwanzig Jahre älter aus. Jetzt kommt auch ihre Nachbarin auf den Balkon – oder ihre Zwillingsschwester? „Morjen“. „Morjen“. Sonst nichts. Der Postbote ist inzwischen vorbei gegangen. Frank geht wieder in seine Wohnung. „Tach“. „Tach“. Schüttelt er mit dem Kopf beim Reingehen über mich? Über die Welt? Über den verlorenen Tag?
Wenn man am U-Bahnhof Hellersdorf aussteigt, ist man im Stadtzentrum. Ein paar neue Häuser, ein Kino, breite leere Straßen, das Rathaus und ein paar Büros, Nagelstudios und ein Schönheitssalon. Der hat entweder nichts zu tun oder bringt unbefriedigende Ergebnisse. Die Hellersdorfer nennen ihren Stadtteil liebevoll Helle, sie sprechen es wie „Hölle“ aus. Aber es ist eher die Vorhölle. Der Ort, wo Menschen sich versammeln, wenn sie mit dem Leben abgeschlossen haben. Wenn sie wissen, dass es für sie keine Hoffnung auf ein besseres Leben gibt. Menschen mit dem Krebsgeschwür Arbeitslosigkeit, das man nicht besiegen kann. Hellersdorf war gebaut worden, um Menschen, die Arbeit hatten, eine preiswerte Unterkunft zu bieten. Arbeit gab es noch nie in Hellersdorf. Jetzt gibt es sie für diese Menschen auch woanders nicht mehr.
Ein bescheidener Versuch ist ein Projekt zur Erhaltung vom Aussterben bedrohter Haustiere. Thüringer Waldziegen laufen mit Wollschweinen und braunen Bergschafen auf einer Weidefläche umher. Das Projekt wird von der Beschäftigungsagentur Berlin-Brandenburg und dem Jobcenter Marzahn-Hellersdorf unterstützt. Es gibt sicherlich einigen Jugendlichen vorübergehend die Möglichkeit, ihr aussichtsloses Leben durch eine Tätigkeit auszufüllen. Aber eine Perspektive ist das auch nicht.
Ich bin am Sonntag in Hellersdorf. Was sofort auffällt: es gibt keine Jogger, nur eine junge Frau, die rennt, um die U-Bahn zu erreichen, obwohl die nächste in 10 Minuten fährt. Die Menschen tragen Jogginganzüge, aber das ist ihre normale Kleidung am Sonntag, und am Montag bis Samstag. Es gibt keine Fitness-Studios, keine guten Restaurants, keine Cocktailbar. In der Stadtmitte drängeln sich die Menschen zum Brunch in einem einzigen Cafe. Lifestyle ist an diesem Ort vorbeigezogen Die Straßennamen sind berühmten Menschen aus Kunst und Wissenschaft gewidmet: Tucholsky, Kurt Weill, Fritz Lang, Adele Sandrock, Lil Dagover. Aber das ist wie ein schlechter Witz. Niemand von denen wäre jemals hierhin gekommen.
Dann ein Kuriosum. Mitten zwischen den Plattenbauten haben Mittelständler ihre Zuflucht gesucht. Die komplette Stephan-Born-Straße ist rundum mit knallbunten Einfamilienhäusern zugebaut: kanariengelb, himmelblau, rot. Mit Metallzäunen, dahinter Audis und Smarts, keine Gartenzwerge, kleine Gärten mit dem Lineal gezogen, Beton- abschnitte für den Grill. Das Ghetto der Besserverdiener.
Am Ortsrand von Hellersdorf, an der Grenze zu Mahlsdorf, dort, wo die kleinen Siedlungshäuser mit den Schrebergärten beginnen, weist ein Schild den Weg zu Röschens Intimvitrine. Röschen ist 67 Jahre alt und hat mit ihrem Mann nach der Wende in ihrer Datscha einen Sex-Spielzeugladen aufgemacht. Aber die Geschäfte laufen seit einiger Zeit nicht mehr so gut. Leben kann man davon schon lange nicht mehr. Früher kamen die Leute aus Berlin, aber seit dem Internet ist die Konkurrenz zu groß. Und das Interesse für ihr Angebot ist in der näheren Umgebung nicht vorhanden.
Endstation Hellersdorf. Warten auf das Ende. Warten auf den Tod. Warum habe ich keinen Friedhof gefunden? Wo werden die Menschen begraben? Wollen Sie noch einmal einfach nur weg? Eins ist tröstlich. Nichts ist umsonst, nicht mal der Tod, sagt man. Aber in Hellersdorf ist er sehr preiswert – versprochen.
Wie kommt man hin? U5 oder M6 vom Alexanderplatz.
Concrete buildings all over the city, nothing else. Actually it is not too bad. Many of them have been renovated, plastered, painted, balconies attached . The sanatary look disappeared. A lot of green around with kid´s playgrounds. But kids don`t play outdoors anymore. A little later the not renovated ones. I walk along with my notepad to register the streets I walk along. It takes not long and people want to know, what´s going on. Do I work for an „Investment shark“, who buys the damaged houses and rent them later for higher prices. People are afraid.
Hellersdorf was planned to be the sleeping city for the working-class people,who worked somewhere else. Hellersdorf offered affordable appartments for them. Now it is the city for the non-working or low payment workers. The city has no jobs to offer and never did. Berlin is far away, 30 minutes by subway. But if you live in this area, you do not want to go to Berlin. You just stay here and wait for the end of the day.
Frank, a man in his fourties, stands outside in his joggingsuit with a beer bottle in his hand, smoking. He waits for the postman to come. But what can he expect? A payment order, a letter from the employment office, advertising? For sure no invitation to a job interview. He wants to know, what I am doing in his block. He warns me „you cannot make any money with these appartments“. I try to explain, what I am doing: Walking all streets of Berlin for the benefits of the refugees. You can watch him thinking. But there is no result. „Refugees? They get more money than we do“. A neighbor observes us behind the curtain. She want to know, what we are talking about. Not too many things happen on this street. She looks twenty years older, greats Frank. „Mornin“. It is four o`clock in the afternoon. Her voice is loud and rough. She has a bathrobe on, her hair has not seen a brush yet. She smokes and starts to dig in the garden box with no flowers. She want to make us believe, that she is not interested in our conversation. Now her neighbour appears on the balcony, too. She looks like a twin-sister of the other one.“Mornin“. „Mornin“. „Mornin“. Not more. Meanwhile the postman passed by. No mail today. Frank goes back into his appartment. „Bye“. „Bye“. Does he shake his head? About me, about no mail or about too much stress at this afternoon?
When you leave the subway at Hellersdorf station, you are in the city center. A few new houses, a movie theatre, wide and empty roads, the mayor´s house and a few offices, nailstudios and a beauty saloon, either with no customers or with bad results. The Hellersdorf people call theit city „Helle“, but when they say it,it sounds like „hell“. But it´s more likely the place,before you enter hell. A place where people meet, when they finished with their life. When they know, there will be no better life for them any more. People with the sickness of unemployment, which cannot be defeated. Hellersdorf was buildt to give workers a home for the night. Hellersdorf never offered work. But now there is no work nowhere for these people.
The government tries something. There is a project to support domestic animals to survive. Forest goats, rare types of pigs and brown mountain sheeps live together on a meadow. A handfull of people take care of them on a temporary minijob base. Some young people have a job opportunity, but no perspective.
I come to Hellersdorf on a sunday. There are no joggers, only one young women rushes to the subway, although the next one will leave in ten minutes. The people wear jogging suits on sundays, but they do it also on mondays to saturdays. There are no fitness studios, no fancy restaurants, no cocktailbars. There is only one restaurant open for brunch. Lifestyle is not existent in Hellersdorf. But the streetnames are dedicated to glamouros people from the 30´s. That is like a bad joke. Nobody of them has ever been to this place.
Between all the prefabricated sleeping silos suddenly a surprise: Stephan-Born-Straße. The whole street is filled up with small, extremely coloured one-family-houses. Canary yellow follows sky-blue and fire-red. A metal fence protects the property as well as the Audis, Mercedes and BMW´s. Small gardens, only green, a place to grill and no garden gnomes. The Ghetto for the middle-class people.
At the very end of Hellersdorf, close to Mahlsdorf, where an area with alllotments and little „Datschas“ begins, you can find a sign for Röschen´s sex cabinet. Röschen is about 67 years old and went into the sex business 24 years ago, shortly after the unification of Germany. At that time she had a lot of customers from Berlin. But the Internet and online shopping are a too rough competition for her. People go for low prices, which she cannot offer. Since years she has an extra job as a charwoman for living.
Final stop Hellersdorf. Waiting for the end. Waiting for death. Why did I saw no cemetery? Where do people find their final rest? Do they want to leave this place for their last yourney? One thing is comforting here. Nothing is for free, not even the death, they say. But in Hellersdorf it is cheaper, than anywhere else. Promise!
How do you get there? U5 or M6 from Alexanderplatz.