Frohnau – schön langweilig

In Frohnau ist nichts los. Was soll aber auch passieren in einem kleinen Stadtteil am äußersten Rande von Berlin, wo man in den Wald ein großes Loch geschlagen hat, um Häuser zu bauen. Schöne Häuser, teure Häuser, Häuser mit viel Grundstück darum herum, Häuser mit eigenwilligen Baustilen. Wer gerne der Todsünde „Neid“ anheim fällt, sollte um Frohnau einen großen Bogen machen. Hier ein paar Beispiele.

Wenn man glaubt, man hat alles gesehen, was Architektur so bieten kann – weit gefehlt. Noch im Bau befindlich ist das erste völlig runde Haus Es erinnert ein wenig an das Pantheon in Rom, hat oben auch ein rundes Loch. Das ist allerdings verglast. Immerhin etwa 120 Quadratmeter Wohnraum finden auf 2 Etagen ihren Platz.

Wenn es fertig ist, soll es so aussehen. Dann komme ich bestimmt noch einmal wieder, um es mir anzuschauen.

Jetzt erst einmal das Wichtigste aus Frohnau. Die Geschichte geht so: In Frohnau auf der Zeltinger Straße, in der Nähe zum Konzer Platz, ist vor Kurzem ein Sack Reis……… Das ist natürlich gelogen. In Wahrheit ist auf der Zeltinger Straße in Frohnau, ganz in der Nähe zum Konzer Platz……. ein Toilettenhäuschen umgefallen. Kein Scherz.

Das ist aber noch nicht alles. Fragt man die Anwohner, warum das Toilettenhäuschen dort liegt, bekommt man keine vernünftige Antwort. Hat der Sturm es umgepustet? Oder hat das Jemand böswillig dem Nachbarn vor die Tür gelegt? Ist es etwa von einem Lastwagen gefallen oder hat sich jemand bei der Benutzung so stark an einer Seite angelehnt, dass es das Gleichgewicht verlor? Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Das ist mysteriös.

Noch mysteriöser ist allerdings, warum ein Hotel in der gleichen Straße von links so heißt:

von der anderen Seite aber so:

Das ist bewusste Irreführung und soll Fremde fernhalten. Man will unter sich bleiben und die Geheimnisse nicht preisgeben. Geht man nur ein paar Schritte weiter, steht man plötzlich im Wald und fühlt sich wie Hänsel oder Gretel, je nachdem. Auf einmal ein Haus auf der rechten Seite mit rätselhaften Buchstaben: Groß „P“, groß „A“, groß „P“, dazwischen Punkte. Was soll uns das sagen? Schaut man sich die umliegenden Häuser an, so liegt auf der Hand; hier will ein marketinggetriebener Chefarzt hirngeschädigten Wohlhabenden den Weg in die Normalität ebnen. Recherchiert man jedoch im Internet, so findet man Folgendes heraus: dort will ein Chefarzt hirngeschädigten Patienten den Weg durch REHA-Maßnahmen in die Normalität ebnen. Also schnell weiter.

Dass die Frohnauer nichts unversucht lassen, Fremde abzuwehren, wird schnell deutlich. Ganz plötzlich attackieren Insekten einen von Überall. Es ist ein Summen und Brummen in der Luft, als ob das Insektensterben um Frohnau einen Bogen gemacht hätte. Es sind aber nicht die summenden, brummenden und um mich herfliegenden Spezies, die mich besorgen. Es sind die, welche sich ganz still und heimlich auf meine freien, sogar schwer zugänglichen Hautteile andocken und zum Stich ansetzen. Drauf zu schlagen, ist eigentlich vollkommen nutzlos. Mein Blut haben sie schon. Normalerweise bleibe ich von den Biestern verschont, wenn andere Menschen mich begleiten. Mein Blut ist wohl nicht besonders schmackhaft für sie. Aber da ich heute alleine unterwegs bin, fallen sie über mich her, als gäbe es kein Morgen. Gibt es aber doch. In weiter Ferne sehe ich eine Frau mit Dackel auf mich zu kommen. Als sie auf meiner Höhe ist, grüße ich freundlich und frage nach dem Weg. Mein Handy habe ich vorher versteckt. Ich frage noch das Eine oder Andere, sage ein paar nette Worte über Frohnau und wünsche dann einen guten Tag. Es war jedenfalls genug Zeit vergangen, dass die Vampire erkannten, wer von uns das schmackhaftere Blut hat. Als die Beiden weit genug entfernt sind, drehe ich mich noch einmal kurz zu ihnen um. Frau und Dackel kämpfen gegen die Insekten.

Frohnau hat ein paar landschaftliche Kleinode. Aber ohne Maps erfährt das kein Fremder. Eines davon ist der kleine Hubertussee an der Grenze zu Brandenburg. Sähe man ihn nicht auf dem Handy, würde man ihn kaum finden. Es gibt keinen Weg dahin, auch Häuser stehen hier keine weit und breit. Aber aus welchem Grund auch immer steht er in meinem Straßenverzeichnis. Also muss ich ihn finden. Als ich in etwa auf der gleichen Höhe bin, schlage ich mich in die Kiefernwälder und tatsächlich: kurz bevor ich in ihn hineinfalle, kann ich ihn auch sehen. Was mich sehr glücklich macht.

Eigentlich stünde jetzt der Besuch im nahegelegenen Künstlerdorf an. Aber entweder sind alle Künstler vor den Mücken geflüchtet oder im Urlaub. Jedenfalls sieht man keine Menschenseele. Also weiter. Kurz darauf eine andere Welt. Die Straßennamen geben schon erste Hinweise. Alle sind irgendwelchen Pferderassen gewidmet. Plötzlich, sieht man, was genau hier hingehört, Berlins Poloklub. Menschen aus aller Herren Länder reisen nach Frohnau, um dem Sport der Reichen und Schönen nachzugehen.

Hinter dem Clubhaus genügend Auslauf für Ross und Reiter, sowie behagliche Unterkünfte für die Pferde.

Es ist einfach nur schön hier -schön teuer.

Hat man soviel Schönes gesehen, dann wird es Zeit, zu gehen. Fast sind alle Straßen abgewandert. Auf dem Weg zum Bahnhof noch ein Straßenschild, das so gut zu diesem Ort passt.

Zwar ist der Freiherr von Knigge in der Nähe von Hannover geboren. Aber der Grund, warum man ihm ausgerechnet in Frohnau eine Straße widmet, lieg auf der Hand. Frohnau ist das Zentrum guter Sitten und gepflegter Lebensformen.

Auf dem Weg zum Bahnhof fällt mein Blick noch auf dieses Schild.

Der Arzt und Schriftsteller Paul Dahlke hat an dieser Stelle im Jahre 1924 das erste buddhistische Kloster in Europa gegründet. Dahlke war ein weitgereister Mann, der sich oft in Asien aufhielt und dort den Buddhismus kennenlernte. Er war von der friedfertigen Religion so angetan, dass er beschloss, im fernen Berlin eine Wirkungsstätte zu errichten. Das buddhistische Haus beherbergte von Anfang an einige Mönche aus Sri Lanka. Dahlke selbst starb bereits vier Jahre nach der Gründung des Klosters. Bevor ich Frohnau verlasse, muss ich mehr erfahren. Ich steige also die vielen Treppen hinauf und werde gleich von einem Mönch begrüßt.

Der führt mich zunächst zum Tempel und dann durch das ganze Haus. Im Untergeschoß treffe ich auf den jetzigen Hausherrn, der mir die Geschichte des Hauses erzählen will. Aber man sitzt gerade in einer kleinen Gruppe beim Mittagsmahl, das man gerne mit vorbeikommenden Gästen teilt. Also setze ich mich dazu und lerne die Gruppe kennen. Da sind zunächst zwei Mönche aus Sri Lanka, die hier ständig wohnen, sowie zwei temporäre Schüler, sowie ein Gast aus Argentinien und die Köchin. Es gibt allerlei köstliche, meist vegetarische Speisen, die hervorragend gewürzt sind. Aber das Wichtigste sind Gedankenaustausch und Buddhas Regeln für ein erfülltes Leben. Jeder Teilnehmer am Mahl erzählt, was er selbst dazu beiträgt, um seinem Leben einen Sinn zu geben. . Der sorgsame Umgang mit der Natur ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Der Abt selbst ist Ideengeber für Projekte, die schonend mit den natürlichen Ressourcen umgehen.

Nach den Gesprächen geht Jeder seiner Beschäftigung nach. Manche suchen einen stillen Platz im weitläufigen Garten auf, andere lesen in den Schriften oder arbeiten in Haus und Garten. Jetzt ist Zeit für die Geschichte des Buddhistischen Hauses. Aber die ist schnell erzählt. Nach dem Tod Paul Dahlkes blieb das Haus zwar als Kloster erhalten. Die Zeit war aber nicht reif für die Lehre von Frieden und selbst bestimmtem, glücklichem Leben. Nach der Machtübernahme Hitlers verließen die Mönche das Kloster, es stand leer bis zum Jahre 1952. Da begab es sich, dass ein steinreicher Kaufmann aus Sri Lanka, Asoka Weeraratna, in Berlin eintraf und sich auf den Weg nach Frohnau begab, um dort Polo zu spielen. Selbst bis in seine Ferne Heimat war der gute Ruf der Sportanlage gedrungen. Weeraratna erwarb seinen Reichtum durch Gold- und Juwelenhandel und wollte nebenbei seine Geschäftstätigkeit auf Europa ausdehnen. Mehr zufällig erfuhr er von dem leerstehenden Kloster und beschloss umgehend, den Besitz zu erwerben. Zur Bewirtschaftung holte er zwei Mönche aus Sri Lanka nach Deutschland. Er selbst war zwar ein gläubiger Buddhist, hatte aber keineswegs vor, sich ins Kloster zurück zu ziehen. Als sein ziemlich aufsässiger Neffe Tisssa in Sri Lanka nicht so richtig klar kam, holte er ihn in seine Obhut nach Deutschland. Tissa hatte nie eine Schule besucht und wollte in Deutschland möglichst schnell auch so reich werden wie sein Onkel. Also begann auch er sehr früh mit dem Handel wertvoller Edelmetalle und erwarb sich schnell einen Ruf im Markt. Zum Kloster kam Tissa erst viel später, als er neben wirtschaftlichen Erfolgen auch seine erste große Niederlage einstecken musste. Da begriff er, dass der Sinn des Lebens nicht allein auf materiellen Erfolg begründet sein kann. In seiner Zeit als Geschäftsmann hatte er er mit den größten Firmen in Europa und der übrigen Welt gehandelt. Diese Verbindungen nutzt er noch heute, um seine Ideen zur Veränderung der Welt umzusetzen.

Wie sieht Tissas Alltag im Kloster aus? Er steht gegen vier Uhr morgens auf. Etwa neunzig Minuten verbringt er mit Meditation vor dem Frühstück. Der Rest des Tages besteht aus viel freier Zeit, in welcher er sich mit sich selbst beschäftigt. Es ist schwer zu erklären, was er da macht. Das Wichtigste ist wohl, einen freien Kopf zu bekommen und die Mühsalen und Ängste hinter sich zu lassen. Damit erhält er den Freiraum für positive und weiterführende Gedanken. Häufig wird um seinen Rat gebeten. Er, der nie im Leben eine Schule besucht hat, kann mit seiner Gelassenheit Sachverhalten eine andere Wichtigkeit oder Dringlichkeit beimessen.

Vor dem Abendessen meditiert die Gruppe der Anwesenden zusammen mit ihm und sucht seine Hilfe. Danach endet der Tag mit weiteren Gesprächen.

Eigentlich wollte ich mir das Buddhistische Haus nur kurz anschauen. Es ist neben dem Poloklub die einzige wirkliche Attraktion in Frohnau. Die Gespräche mit Tissa waren aber so anregend, dass ich den ganzen Nachmittag verweilte. Ich werde bestimmt wiederkommen, obwohl es keine einzige Straße in Frohnau mehr gibt, die ich noch zu wandern hätte. Vielleicht sogar für ein paar Tage, denn das Kloster bietet auch Übernachtungen für Gäste an. Mal sehen, was ich beim nächsten Mal erfahre, vor allen Dingen über mich selbst.

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