
Heute ist alles gut. Es ist ein warmer Oktobertag. Die Sonne scheint durchgängig, und ich bin in Hermsdorf. Gleich beim Aussteigen aus der S-Bahn sehe ich dieses hübsch sanierte Bahnhofsgebäude, eine Seltenheit in Berlin. Und wenige Minuten danach das erste Cafe und eine Vielzahl unterschiedlicher Restaurants mit Angeboten aus allen Ländern der Welt. Ich bin glücklich, denn für lange Zeit war das Angebot eingeschränkt auf deutsche Küche in ihrer Berliner Art, oder vietnamesische Gerichte mit Geschmacksverstärkung oder Dönerbuden. Auf einmal inhabergeführte Läden jeglicher Art mit einem differenzierten Angebot, Nischengeschäfte und keine Kaufhäuser, Shoppingcenter oder Allerwelts-Label. Die Apotheke nennt sich hier Pharmarcie. Wenn ich einmal nach Berlin ziehen sollte, dann gibt es für mich nur eine Wahl: Hermsdorf.
Im Oktober ist es für den Besucher allerdings gefährlich. Helmpflicht, auch für Fußgänger, sollte vorgeschrieben sein. Denn von den vielen riesigen Eichen fallen pausenlos die Früchte. Wenn die aus fünfzehn Metern Höhe deinen ungeschützten Schädel treffen, ist die Aufprallgeschwindigkeit enorm. Wir haben doch genügend Warnschilder in Deutschland, aber für herabfallende Eicheln und Kastanien gibt es noch keines. Ich werde dem Straßenverkehrsamt mal einen Vorschlag unterbreiten. In Wirklichkeit beneide ich Hermsdorf um seinen prächtigen Baumbestand, der für gute Luft sorgt und im Herbst den Stadtteil in ein rot-gelb-grün-braunes Farbenmeer verwandelt.

Aber Hermsdorf hat vielmehr zu bieten. Ausgedehnte Spaziergänge, Moorlandschaften, das Naturschutzgebiet Tegeler Fließ und die zahlreichen Bauten aus der Gründerzeit. Diese sind nicht so pompös, wie in der Innenstadt, sondern für betuchte Familien errichtet worden.


Wegen der frischen Luft war Hermsdorf um die vorletzte Jahrhundertwende ein Ausflugsort für die Berliner. Viele der Straßennamen deuten darauf hin, dass Hermsdorf auch ein Kurort war : Kurhausstraße oder Solquellstraße . Aber die Erschließung der Solquelle scheiterte. Obgleich es eine Schlossstraße, sowie einen Schlossplatz gibt, deuten keine Urkunden auf die Existenz eines Schlosses hin. Hermsdorf verfügt dafür aber noch über ein paar sehenswerte alte Gebäude in seiner Altstadt, die natürlich von der Straße „Alt-Hermsdorf“ durchquert wird. Aber anders als in den anderen Stadtteilen Berlins umschließt sie nicht die Kirche, sondern führt an ihr vorbei. Oder besser gesagt; führte. Denn von der alten Kirche ist nichts als ein kleiner Trümmerrest übrig geblieben. Dafür blieb das alte Pissoir vor dem Museum stehen. Allerdings dient es jetzt als überdachter Ruheplatz den müden Wanderern zur Rast.
Muss man Hermsdorf als Tourist besuchen? Nicht unbedingt. Die Hermsdorfer werden es Euch danken, wenn Ihr wegbleibt. Es gibt auch keine besonderen Attraktionen. Wenn Ihr allerdings nicht auf der Jagd nach immer neuen Sehenswürdigkeiten seid, sondern auch Zeit zur Muße in den Stadturlaub eingeplant habt, seid Ihr hier genau richtig. Der Maler Max Beckmann wusste um den Charme des Stadtteils und hat sich hier für einige Zeit niedergelassen.